Körper in der Schwebe

Akademie der Künste am Pariser Platz mit »Raum.Prolog«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz taugt zum Modell für diese Gesellschaft. Transparent, modern und filigran sollte der Bau werden, Alt und Neu sensibel miteinander verbinden und dabei besondere Qualität in Ästhetik und Benutzbarkeit haben. Nach Senatsempfang, Schillerlesung und Buchvorstellung (Werner Durth/Günter Behnisch, Berlin - Pariser Platz. Neubau der Akademie der Künste) mit der Ausstellung »Raum.Prolog« zum vierten Mal zwischeneröffnet, zeigt sich, wie wenig vollkommen das potenzielle Kleinod ist. Im Keller, wo das avancierte Tonstudio eingerichtet werden soll (wofür bislang das Geld fehlt), prangen weiterhin die Eingeweide des Betonbaus, während die Freitreppe im Foyer bereits erste Risse aufweist. Der Gang, der einst als Verbindung zum Archiv gedacht war (das dort nicht gebaut werden durfte) und später als Verbindungsgang zum Holocaust-Mahnmal metaphorisch aufgeladen wurde, endet nun in einer - zumindest zeitweilig - verschlossenen Glastür vor den Salons des Hotels »Adlon«. Natürlich hat das Haus auch vorzügliche Seiten, den in den Hof ragenden Dachgarten etwa oder den Balkon, dem der Pariser Platz und all das Treiben darauf zu Füßen liegt. Doch ganz können die hochgesteckten Erwartungen nicht befriedigt werden. Es herrscht der Eindruck von Stückwerk, von nur halb bewältigter Arbeit vor. Darin ähnelt die Akademie also der Regierungspolitik. Umso bemerkenswerter ist, dass die Akademie nicht mauert. Sie versucht nicht zu kaschieren, was ohnehin schwer zu verbergen ist, sondern präsentiert sich offen. Mit der Ausstellung »Raum.Prolog« (vorerst bis 9.5.) führt sie den Besucher gerade an die wunden Stellen. Heike Baranowsky hat in das Loch, das eigentlich die Black Box beherbergen sollte, per Videoinstallation Schwärme von Zugvögeln eingelassen. Der tschechische Künstler Ivan Kafka hat eine 50 Meter lange und 20 Tonnen schwere Schlange aus geschreddertem Papier auf jenen Gang gewuchtet, der einst zum Archiv führen sollte. Der vernichtete Träger von Sinn holt das in den Keller verbannte Archiv als Phantom zurück. Doch wäre »Raum.Prolog« missverstanden, wenn man die Ausstellung auf die Präsentation der Wundmale beschränkt. Vielmehr versuchen die Arbeiten der zwölf Künstler das neue Gehäuse zu erkunden, ihm Klänge, Atmosphären und Lichtquanten zu entlocken. Ganz buchstäblich unternimmt das Christina Kubisch. Sie lädt zu »Stromspaziergängen« ein. Mit Kopfhörern ausgerüstet verfolgt man elektromagnetische Felder, deren Schwingung in akustische Schwingungen umgewandelt werden. Der Isländer Olafur Eliasson hingegen bricht mit einem Spiegel Licht in gelbe und blaue Kreise. Er lässt den blauen verharren, während der gelbe die Wände abtastet. Rémy Zaugg holt das Blau des Himmels in einen großen Saal, während Ayse Erkmen die Raumkörper des Erdgeschosses zu filigranen Papierkuben verkleinert hat und an der Decke schweben lässt. Von Bruce Nauman ist die ältere Arbeit »Get out of my mind, get out of this room« aufgebaut: In einer engen weißen Kammer zischt, flucht, würgt, krächzt Nauman die Titel gebende Drohung. Zur unmittelbaren Aggressivität der Arbeit kommt das Wissen darüber hinzu, dass an derselben Stelle Grenztruppen einst Leute festhielten, die die DDR hinter sich lassen wollten. Den noch nicht abgeschlossenen Umzug verarbeitet Florian Slotawa. Abgüsse von antiken Skulpturen und neuzeitlichen Büsten hat er auf Rollschränken, Stühlen und Tischen platziert. Die Figurengruppe wirkt wie halb abgestellt und halb eingerichtet; sie illustriert prächtig die Übergangssituation. »Raum.Prolog« lädt zu zwei diametral entgegengesetzten Betrachtungsweisen ein. Zum einen kann man den Willen zur Öffnung, zur behutsamen Raumeroberung, das Bekenntnis zum Transitorischen loben. Zum anderen könnte man die Ausstellung nutzen, einen Mängelbericht zu Bauplanung und Bauausführung zu verfassen. Doch wer will schon immer meckern? So bleibt nicht anderes übrig, als die Akademie zum Körper in der Schwebe zu erklären, stets bedroht von profaner Schwerkraft, doch auch mit Potenzial zum kraftvollen Absprung. Akademie der Künste, Pariser Platz, Berlin: Prolog und Mission of Art. Bis 4.6., Di-So 14-20Uhr, (9.-26.5. geschlossen). Eintritt frei. www.adk.de
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.