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Der Fall »M-B-N«
FRAUENGESCHICHTE(N)
Vor 100 Jahren, am 21. Oktober 1901, wurde in Potsdam eine Frau geboren, die heutzutage uns wie eine Scheherezade der Lagerwelt vorkommt. Aber es sind keine Märchen, die Margarete Buber-Neumann als Zeugin des Kampfes und Leidens zwischen den politischen Extremen des 20. Jahrhunderts bis zu ihrem Tod in Frankfurt/Main am 6. November 1989 erzählte.
Ich lernte sie im Februar 1982 kennen, neugierig geworden durch meinen Freund Günter Maschke, der als linker Renegat 1981 in einem mit Ärztegeldern gesponserten Verlag ihre Jugenderinnerungen »Von Potsdam nach Moskau« herausgegeben hatte. Die damals 80-Jährige, die auf mich nach Aussehen und Vitalität wie eine 60-Jährige wirkte, war eine militante Antikommunistin, und manches war bei ihr mit Vorsicht zu genießen. Etwa wenn sie über den »KGB-Agenten in der SPD« Herbert Wehner, Neumanns einstigen Parteifeind, wetterte. Konnte man ihr die Ressentiments vorwerfen? Sie wurden verständlich nach der Lektüre ihres 1952 auch in einer Verfassungsschutz-Ausgabe erschienenen Berichts »Als Gefangene bei Stalin und Hitler«.
Aus der antibourgeoisen »Wandervogel«-Bewegung geriet sie als Kindergärtnerin angesichts des Elends ihrer Schützlinge 1921 in die kommunistische Jugendbewegung. In erster Ehe verheiratet mit Rafael Buber, dem Sohn des Religionsphilosophen Martin Buber, heiratete sie später das KPD-Politbüromitglied Heinz Neumann, den Sozialfaschismus-Theoretiker, und besuchte 1931/32 die UdSSR. Ihre Töchter emigrierten mit Buber nach Israel (eine, Judith Buber-Agassi, findet man im Internet noch als Frauenforschung-Professorin). An Stalins »Vaterland aller Werktätigen« hatte sie nichts auszusetzen, denn die »geistigen Stoßdämpfer und dialektischen Wattepolster«, so der »Renegat« Arthur Koestler, funktionierten noch. Nach antifaschistischem Exil in Spanien und der Schweiz, kamen die Neumanns Ende 1935 nach Moskau, wo 1937 Heinz N. verhaftet und ermordet wurde.
Buber-Neumann wurde 1938 zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt, aber 1940, nach dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, an Nazideutschland ausgeliefert und im Frauen-KZ Ravensbrück inhaftiert. Gegen Kriegsende am 21. April 1945 aus dem KZ zur Rückmeldung bei der Gestapo entlassen, flüchtet sie vor der Roten Armee westwärts. Linke und rechte Ignoranz isolierten sie im Nachkriegsdeutschland - die einen wollten nur diese, andere nur jene Lagererfahrungen hören. 1951 gründete sie in Frankfurt (Main) die kulturpolitische Zeitschrift »Aktion« für heimatlose demokratische Linke, zu deren Förderern damals prominente Linkssozialisten wie Willy Brandt und Hermann Brill gehörten. Später versuchte Gerhard Zwerenz, ebenfalls erfolglos, Linke für Margarete Buber-Neumann zu interessieren. In der DDR beschäftigte 1954 der »Ermittlungsvorgang "Publizisten" gegen die trotzkistische Gruppe um Margarete Buber-Neumann« das MfS. Auf sie angesetzt war u.a. die in Büchern als Freundin beschriebene KZ-Leidensgenossin Lotte Henschel. Die aus der SED Ausgeschlossene sollte das in der Mainmetropole residierende »Befreiungskomitee für die Opfer totalitärer Willkür« der »M-B-N« (Stasi-Kürzel) auskundschaften, in das gewiss ebenso westliche Geheimdienstgelder geflossen sind wie in den von der CIA verdeckt finanzierten »Kongreß für kulturelle Freiheit«, zu dessen Aktivisten sie neben Arthur Koestler, Eugen Kogon, Golo Mann, Raymond Aron, Karls Jasper, Bertrand Russell gehörte.
Buber-Neumanns Versuch, Lehrerin zu werden, scheiterte, und so kämpfte sie sich im Kalten Krieg als Rednerin und Publizistin durch das Leben und landete Mitte der 70er Jahre in der Umarmung der CDU, die ratlos mit diesen fremden, linken Erfahrungen nichts außer oberflächlich-antikommunistische Propaganda anzufangen wusste. Beachtung fand ihr Report »Die erloschene Flamme« über Weggenossen, von Max Hölz über Heinrich Vogler und Georgi Dimitroff bis zur Kafka-Freundin Milena Jesenská, ihre Freundin im KZ. Dieser widmete sie 1960 eine Biografie, wohl ihr erfolgreichstes Buch. Erst jetzt, zum 100. Geburtstag, erscheint in einem deutschen linken Verlag, und zwar dem der einstigen 68er BRD-Studentenbewegung, ein Buber-Neumann-Buch von Michaela Wunderle. Ihre Episoden zur Komintern-Geschichte »Schauplätze der Weltrevolution« kamen 1996 in Moskau heraus. In Potsdam trägt inzwischen eine Straße ihren Namen, und im November wir...
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