Die Kinder der Stepanida Prokopjewna
Eine Familiengeschichte
Alles schien gut, bis der Krieg ausbrach, der verbrecherische, trennende. Fünf Söhne gingen gleichzeitig, in den ersten zwei Wochen, in den Krieg.
Meinen Vater Alexander Isossimowitsch Djomin verabschiedeten meine Mutter Darja Wassiljewna, die mit mir schwanger ging, Großmutter Stepanida und andere Verwandte schon am zweiten Tag des Krieges, am 23. Juni 1941.
Mein Vater kämpfte an der Leningrader Front. Ganze drei Briefe kamen von ihm, geschrieben mit Bleistift in Pausen zwischen den Kämpfen gegen die faschistischen deutschen Eroberer. Ein Stück eines solchen zerfallenden Briefes wird in unserer Familie bis heute sorgsam aufbewahrt. Durch eben solchen Militärbrief gelangte in der herbstlichen Schlammzeit, im Oktober 1943, eine schreckliche Nachricht in die Heimat, ins Dorf Saoschminzy: Der Vater wurde nach einer der blutigen Schlachten während der Offensive an der Karelischen Front als vermisst gemeldet.
Der jüngste der Gebrüder Djomin, Pjotr, wurde im Mai 1940 einberufen. Bis zum Beginn des Großen Vaterländischen Krieges leistete er Wehrdienst als Schütze. Während des Angriffs der Deutschen in Richtung Moskau kämpfte er furchtlos gegen einen an Kräften überlegenen Feind. Als Militär-Sanitätsinstrukteur eines Schützenregiments zeigte er wahren Heldenmut. Er trug Verwundete vom Schlachtfeld. Vielen Kameraden rettete er das Leben, aber sein eigenes konnte er nicht bewahren. Pjotr I. Djomin starb in einer der Schlachten am 24. Dezember 1941. »Begraben im Dorf Lokotnja im Moskauer Gebiet« - lese ich inner-
lich erregt im Gedenkbuch der Nishninowgoroder, die im Großen Vaterländischen Krieg 1941 - 1945 gefallen sind. Für den Heldenmut, den er in der Schlacht um Moskau bewiesen hat, wurde Pjotr Isossimowitsch Djomin vom Kommando der 15. Schützendivision für eine Kampfauszeichnung (postum) vorgeschlagen.
Aus der Kriegsbiografie meines zweiten Onkels, Jegor (Georgi) Isossimowitsch, ist ein bisschen mehr bekannt. Seit 1939 war Jegor Djomin Angehöriger der Roten Armee. Er absolvierte Lehrgänge für den jüngeren Kommandeursbestand, kommandierte erfolgreich eine Abteilung von Militärkraftfahrern und wurde in den vorderen Reihen der Verteidigung Leningrads eingesetzt.
Während der grausamen, barbarischen Blockade der Stadt Lenins belieferte er die Truppen an der Front auf dem »Weg des Lebens« - über das Eis des Ladoga-Sees - Tag und Nacht ununterbrochen mit wertvollen Gütern: Munition, Kraft- und Schmierstoff, Ausrüstungen, Feuerwaffen, Lebensmittel vom »Großen Land« für die erschöpften, hungernden Bewohner der belagerten Stadt. Die »Blockadniki« ergaben sich dem tückischen und grausamen Feind nicht, sie widerstanden und siegten. An diesem Ausgang des Kampfes mit dem Gegner hat zweifellos auch der Kraftfahrer Jegor Djomin seinen Anteil. Für die geschickte und fleißige Erfüllung der Befehle, für Kühnheit und Findigkeit wurde Jegor Djomin mehrfach mit Medaillen und schriftlichem Dank mit der Unterschrift I.W. Stalins ausgezeichnet. Von 1941 bis zum Tag des lange erwarteten Sieges im Mai 1945 gab er das Lenkrad von Kampfwagen und Transportern nicht aus der Hand.
Die Wege des Krieges führten ihn bis in die Höhle der faschistischen Bestie, ins besiegte Berlin. Nach der Rückkehr von der Front arbeitete Jegor Isossimowitsch ehrlich, aufrichtig und selbstlos am Wiederaufbau des Kolchos im Dorf Wesjolyje. Besonders gern arbeitete Onkel Jegor auf dem Feld. Die letzten Jahre seines Lebens widmete er sich den Pferden, er arbeitete als Pferdepfleger. Seine Tiere waren gepflegt, gutmütig und vielleicht die besten des Oschimsker Bezirks in jener Zeit.
Hinzufügen will ich, dass er ein sehr geselliger, nicht boshafter und nicht rachsüchtiger Mensch war. Er sang und tanzte gern und amüsierte sich auf den Festen im Kolchos. Die Alten im Dorf und in den umliegenden Siedlungen erinnern sich gut daran. Aber die verfluchte Krankheit verschonte auch ihn nicht. Nach anhaltender Erkrankung wegen einiger Kriegsverwundungen und Quetschungen starb Jedor Demin im September 1985. Er liegt auf dem Friedhof von Oschimskoje begraben.
Andrej Isossimowitsch Djomin, der älteste aller Brüder, wurde 1890 geboren. Er ging 1914 schon in den ersten Weltkrieg. Und 1941 verteidigte er Moskau an der Wolokolamsker Chaussee. In einer der Schlachten erlitt Andrej Isossimowitsch eine schwere Schussverwundung. Einige Monate lag er im Militärhospital. Danach wurde er wegen seines Gesundheitszustands aus der Roten Armee entlassen. Andrej Djomin lebte ein langes, nicht leichtes Leben im Dorf Saoschminzy. Und begraben wurde er in Oschimsker Erde.
Schließlich Makar Isossimowitsch Djomin, der zweitälteste der fünf Brüder, geboren 1906. Er ging als einer der ersten aus unserem Dorf in den Krieg gegen die faschistischen deutschen Besatzer. Viele Wege durchschritt der Rotarmist Makar Djomin, keine leichten Wege, sondern Wege über Schlachtfelder und durchs Feuer. Er zeichnete sich an den Zugängen zur Hauptstadt der Sowjetukraine aus. Mehrfach forcierte er mit den Kämpfern seiner Ponton-Kompanie den Dnjepr. In eisigem Wasser, unter den Bombenangriffen der feindlichen »Messerschmitts« mussten sie den Flussübergang schaffen.
Für Heldentum und Mut in den Kämpfen für die Befreiung Kiews wurde Gardesoldat Djomin M.I. mit dem Orden Roter Stern ausgezeichnet. Danach nahm er an den schweren Kämpfen um die Stadt Vilnius teil, wo er verwundet wurde.
Nach der Genesung befreite er mit dem Kämpfern des Pionierbataillons einige Städte und Dörfer in Polen und der Tschechoslowakei. Für seine Verdienste im Zuge der Befreiungsmission erhielt er den Orden des Vaterländischen Krieges.
In einem der Kämpfe wurde er verwundet und danach in ein Hospital des sowjetischen Hinterlands - nahe der Stadt Gorki - geschickt. Später wurde er aus der Armee entlassen, so dass Onkel Makar die Faschisten schon nicht mehr selbst bis zum Ende verfolgen konnte.
In Nachkriegszeiten diente er lange bei den Wachtruppen des Innenministeriums. Die letzten fünf Jahre seines Lebens lebte er in der Siedlung Pishma, wo er 1972 auch begraben wurde.
Wer das liest, mag vielleicht sagen: Womit will uns der Autor in Erstaunen versetzen? Was ist daran Besonderes? Vater und Onkel waren an der Front, na und? Damals wurden alle an die Front geschickt, den Kopf gestreichelt hat man niemandem. Und niemand hat sich nach den Gesetzen der Kriegszeit freikaufen können.
Das Besondere besteht darin, dass meine Großmutter - Stepanida Prokopjewna Djomina schon im Jahre 1925 allein, ohne Mann, war. Eine Heldenmutter, die 13 Kinder gebar. Sieben blieben am Leben, sie hat sie allein großgezogen, alle sieben hat sie zu Menschen erzogen. Ihre fünf Söhne, ihr eigen Fleisch und Blut, einer stattlicher als der andere, hat sie im 41er Jahr zum Schutze des Vaterhauses, der Mutter Heimat, der russischen Erde ausgeschickt. Alle gab sie in den Krieg, mit dem Kreuzzeichen und dem mütterlichen Segen. Darin besteht die wahre Heldentat der einfachen russischen Frau. Es gibt im Rayon nicht sehr viele Familien, aus denen fünf junge, blühende Männer auf einmal an die Front gingen.
Und auch die Töchter Dina und Jewgenija erledigten in den Kriegsjahren im Hinterland die schwersten Arbeiten, solche, die manchmal selbst über die Kräfte von Männern gehen. Beide beteiligten sich am Bau von Schützengräben und Panzersperren. Die eine um Moskau, die andere um Gorki.
Ich bin stolz auf meinen Familiennamen. Und verneige mich, wenn ich die Gräber von Großvater Isossim, Großmutter Stepanida und dreier meiner Onkel - Andrej, Makar und Jegor - besuche. Zwei ihrer Brüder - Alexander und Pjotr - haben ihren Kopf auf den Altar des Sieges gelegt. Sie starben, als sie die Heimat verteidigten. Ihre Heldentat, wie die von Millionen unserer Landsleute, ruft die heutige junge Generation auf, sich der Generation der Sieger würdig zu erweisen.
Wir erinnern uns der Namen aller,
wir erinnern uns des eigenen Leids,
nicht weil es die Toten nötig haben,
sondern die Lebenden...
German Djomin
Gardemajor im Ruhestand
Siedlung Tonschajewo
Gebiet Nishni Nowgorod
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