Schrottplatz in der Lunge

Je kleiner die Partikel , desto größer die gesundheitlichen Risiken Metallische Substanzen sind besonders gefährlich

Wenn in den letzten Wochen das Schreckgespenst Feinstaub an die Wand gemalt wurde, war meist von Dieselruß die Rede. Doch Rußpartikel sind weder die einzigen noch die einzig gefährlichen feinen Teilchen in der Atemluft.

Sie haben klangvolle Namen, und können doch gefährlich werden: Kalziumsulfate und Karbonate, Metalloxide, Seesalze und Silikate. All das kann in Form winziger Staubpartikel in unsere Lunge geraten. Je kleiner, desto riskanter können sie sich auf die Lunge und den gesamten Kreislauf auswirken. Eine Arbeit des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover, das sich unter anderem mit Umweltgiften, Allergie- und Inhalationsforschung befasst, ging der Frage nach, wieso der Feinstaub überhaupt gefährlich für die Gesundheit werden kann. Die Studie der Wissenschaftler um Norbert Krug zeigte vor allem eines: Viel wichtiger als die Menge des Feinstaubs in der Luft ist die chemische Zusammensetzung des Staubs. Die Fraunhofer-Forscher halten Feinstaub, der viele Metallpartikel enthält, für deutlich gefährlicher als den, der überwiegend aus Kohlenstoff zusammengesetzt ist. Bei gesunden Versuchspersonen fanden sie heraus, dass Staub je nach seinen Substanzen verschieden starke Reaktionen der Lunge hervorruft. »Das ist ein Signal dafür, dass wir der Wirkung der einzelnen Staubbestandteile noch zu wenig Beachtung schenken«, sagt Krug. Die ersten Indizien, dass unter- schiedliche Feinstäube die Gesundheit abweichend beeinträchtigen, lieferte 2003 eine Studie des GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in München. Dafür untersuchten die Experten zwei Städte in Sachsen-Anhalt: den früheren Bergbauort Hettstedt und das ländliche Zerbst. In Hettstedt erkranken weit mehr Kinder an allergischem Asthma als in Zerbst. Und das, obwohl die traditionellen Industriebetriebe rund um Hettstedt auch mit Hilfe von Filteranlagen saniert und der Bergbau dort längst eingestellt wurde. Wenn die Hettstedter ähnlich viel Feinstaub einatmen wie die Zerbster, aber viel häufiger erkranken als diese, muss das an der Zusammensetzung des Staubs liegen, schloss Krug. Um herauszufinden, ob das wirklich so ist, setzte er die Lungen von zwölf gesunden Testpersonen den Feinstäuben aus Zerbst und Hettstedt aus - ein ungewöhnliches Experiment. Mit einer Bronchoskopiesonde sprühten seine Kollegen und er den Probanden jeweils 100 Mikrogramm Feinstaub, der in 100 Milliliter Salzwasser gelöst war, in die Lunge, und zwar Zerbst-Staub in die rechte Lunge, Hettstedt-Staub in die linke. Um zu verhindern, dass sich die Flüssigkeit in der Lunge sammelte, wurde sie dort sofort wieder abgesaugt. Am Tag danach spülte Krug die Lungen erneut - diesmal, um eventuelle Entzündungszellen zu gewinnen. Sowohl der Staub aus Hettstedt als auch der aus Zerbst erhöhte die Zahl der weißen Blutkörperchen in der Lunge - erstes Zeichen für eine Entzündung. Doch nur beim Staub aus Hettstedt stieg auch die Zahl der Fresszellen sowie die Produktion von Zytokinen signifikant, was den Verdacht einer Entzündung erhärtete. Zytokine sind Botenstoffe, mit denen das Immunsystem entzündliche Reaktionen steuert. Der Staub aus Hettstedt macht demnach viel eher krank als der aus Zerbst. Woran liegt das? Um das zu ergründen, untersuchten Forscher aus Hannover die Feinstäube auf ihre chemische Zusammensetzung. Das Ergebnis: Der Staub aus Hettstedt enthält deutlich mehr Metalle als der andere - offenbar wegen der Verwirbelungen des Metallstaubs aus Bergbaubetrieben und sanierten Hütten. »Besonders auffällig ist die viermal so hohe Zink- und Kupferbelastung«, sagt Krug. Außerdem enthalte der Hettstedt-Staub Blei, Magnesium und Kadmium. »Der Metallgehalt beeinflusst offenbar die Schwere allergischer Atemwegserkrankungen«, fasst der Forscher zusammen. Noch ein Ergebnis, zugleich ein Symptom für den Nutzen der Studie: Inzwischen hat die Stadt Duisburg auf diese Befunde reagiert. Dort enthält die Luft vor allem Kobalt, Nickel und Kadmium. »Die planen jetzt ähnliche Tests«, sagt Krug. Andernorts untersuchen Forscher im Tierversuch ein weiteres Problem der Feinstäube: die Lungengängigkeit. Denn die kleinsten Partikel der Stäube sind so winzig, dass sie die oft nur 0,1 Mikrometer dicke Luft-Blut-Schranke der Lungen passieren können. Im Blutkreislauf angekommen, aktivieren die Teilchen gerinnungsfördernde Blutplättchen und erhöhen so das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Eine Gruppe um Günter Oberdörster von der University of Rochester (USA) zeigte im Tierversuch sogar, dass die Feinstaubpartikel sich überall im Körper verteilen können. Die Wissenschaftler hatten für ihr Experiment Ratten mit nur 0,035 Mikrometer großen Teilchen behandelt. Als sie die Zellen der Tiere untersuchten, konnten sie die Partikel überall nachweisen. Die Untersuchung aus Hettstedt und Zerbst belegt eindrucksvoll, dass die Art der Partikel und deren Toxizität eine wichtige Rolle spielen. Möglicherweise wird sich diese Erkenntnis in Zukunft einmal in EU-Richtlinien wiederfinden. Nach den Dieselfahrzeugen, auf die ein Großteil der Feinstaubemissionen entfällt, könnte es dann sogar Autos mit einem Abgaskatalysator treffen. Denn jeder dieser (vermeintlichen) Saubermänner verteilt im Laufe seines Lebens etwa vier Gramm Platin, Palladium und Rhodium in die Luft - in Form von metallischem Feinstau...

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