Die andere Seite des Otto Dibelius

Nachbetrachtung zu einer Straßenumbenennung in Charlottenburg

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Seit dem 2. Mai heißt die einstige Planstraße in Charlottenburg Otto-Dibelius-Straße. Die Umbenennung geht zurück auf einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf. Damit wird ein Kirchenmann geehrt, der von 1945 bis 1966 Bischof von Berlin und Brandenburg war und zwischen 1949 und 1961 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seine Karriere begann wesentlich früher. Otto Dibelius war 1933 Generalsuperintendent der Kurmark und ein lebhafter Befürworter des Festakts zur Reichstagseröffnung am 21. März in der Potsdamer Garnisonkirche, eines Aktes, der als »Tag von Potsdam« in die Geschichte einging. Am 8. März schrieb er einen Rundbrief an die Pfarrer der Kurmark, die Reichstagswahl (vom 5. März) habe »zum ersten Mal seit der Revolution 1918 eine parlamentarische Mehrheit von bewusst nationaler Haltung gebracht«. Nur wenige würden sich »dieser Wendung nicht von ganzem Herzen freuen«. Am 10. März beschloss der Gemeindekirchenrat der Potsdamer Nikolaikirche, Dibelius zu bitten, beim Gottesdienst vor dem Staatsakt vor Reichspräsident Paul von Hindenburg die Predigt zu halten. Von der Kanzel tönte Dibelius: »Wir wollen wieder sein, wozu uns Gott geschaffen hat. Wir wollen wieder Deutsche sein.« Dann verstieg er sich zu einer offenen Rechtfertigung des Naziterrors, der damals Deutschland durchzog: »Ein neuer Anfang staatlicher Geschichte steht immer irgendwie im Zeichen der Gewalt. Denn der Staat ist Macht.«...»Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, dass die Kirche der rechtmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet...« Dibelius hat noch eine schwache Mahnung hinzugefügt, dass das »staatliche Amt sich nicht mit persönlicher Willkür vermengen« dürfe. Aber über solche Feinheiten sahen die Nazis hinweg. Dibelius durfte sich ihres Lobes sicher sein. Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring kam nach der Predigt auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand: »Das war die beste Predigt, die ich in meinem Leben gehört habe.« Die Inszenierung gelang, der »Tag von Potsdam« hatte exakt die Wirkung, die sich Adolf Hitler von ihm versprochen hatte. Otto Dibelius spielte seine Rolle zur vollsten Zufriedenheit der faschistischen Führung. Intellektuelle Schönredner hatten die Nazis zu diesem Zeitpunkt noch wenige. Da kam es auf jeden an. In diesen Tagen hat es nicht eine einzige kirchenamtliche Stellungnahme gegeben, in der die Errichtung der faschistischen Diktatur nicht ausdrücklich begrüßt wurde. Zahlreiche Theologen traten unter dem Einfluss des »Tages von Potsdam« der Nazipartei bei. Dibelius auf dem Kurmärkischen Kirchentag am 28. Mai 1933: »In vielem, was geschehen ist, begrüßt die Kirche eine Erfüllung dessen, was sie selbst erstrebt hat... Alles, was erreicht worden ist, fasst sich zusammen in dem Namen Adolf Hitlers... Einem solchen Staat steht die evangelische Kirche anders gegenüber als dem Staat von Weimar.« Nach dem staatlich organisierten Judenboykott vom 1. April wandte er sich über einen amtlichen Kurzwellensender an Zuhörer in den USA und forderte, die »Agitation gegen Deutschland« müsse aufhören. »Haben Sie Vertrauen! Noch einmal: Haben Sie Vertrauen! Sie werden erleben, dass das, was jetzt in Deutschland vor sich geht, zu einem Ziel führen wird, für das jeder dankbar sein kann, der deutsches Wesen liebt und ehrt.« Otto Dibelius war in dieser politischen Phase ein Wegbereiter des sich konstituierenden Faschismus. Richtig ist, dass er in späterer Zeit, als sich der Terrorstaat konsolidiert hatte, mehr und mehr auf Distanz ging. Er schloss sich der Bekennenden Kirche an und warnte vor einer »Staatskirche«. Richtig ist auch, dass er wegen seines Kirchenbegriffes als einer der ersten amtsenthoben wurde. Seine Ehrung wie die in Charlottenburg war und ist für die offizielle Bundesrepublik typisch: Im Zentrum ihres Gedenkens stehen historische Persönlichkeiten wie Henning von Tresckow (Paradeteilnehmer am »Tag von Potsdam«), Graf Schenk von Stauffenberg, Erzbischof Clemens August Graf von Gahlen. Sie eint, dass sie sämtlich eine Phase durchliefen, in der sie den Nazismus unterstützten und später zum Widerstand wechselten. Zu d...

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