Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Reriker geben Wustrow noch nicht auf

Mecklenburg-Vorpommern Von Claudia Schreyer, Schwerin

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Tür ist zu, Wustrow verkauft. Die Bürger geben ihre Halbinsel aber nicht auf Fotos: Archi Nova

Auch nachdem der Haushaltsausschuß des Bundestages im Juni mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen im zweiten Anlauf dem Verkauf von Wustrow an die Kölner Fundus-Gruppe zugestimmt hat, kehrt keine Ruhe am Salzhaff ein. Das Ostseebad Rerik hat den Kampf um die Halbinsel noch nicht aufgegeben.

Ursprünglich wurde beim Verkauf von Wustrow nur um den nordöstlichen Teil verhandelt, als die hiesige Niederlassung der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) im Auftrag des Bundesvermögensamtes die Halbinsel zum Verkauf ausgeschrieben hatte. Es ging um eine Fläche von etwa 100 Hektar, die teils bebaut und teils zur Bebauung geeignet ist. Der Rest der insgesamt rund 1000 Hektar großen, jahrzehntelang militärisch genutzten Insel ist munitionsbelastetes Landschafts- bzw zum größeren Teil Naturschutzgebiet. Die Flächen gehören darüber hinaus zum Europäischen Landschaftsschutzgebiet und sollten unangetastet bleiben. Aber- Die Fundus-Gruppe erhielt überraschend den Zuschlag samt der geschützten Gebiete, eine von vielen Ungereimtheiten beim Verkauf der Liegenschaft.

Die Veräußerung erfolgte nicht nur gegen die Ausschreibung, sondern auch gegen das Votum des Vergabeausschusses. Das Gremium mit Vertretern der Stadt, des Kreises und Behörden des Bundes und des Landes hatte sich einstimmig für einen anderen Bewerber ausgesprochen: das Stuttgarter Unternehmen Archi Nova. Ausgehend von der bestehenden Bausubstanz auf der Halbinsel setzt dieser Investor auf eine behutsame ökologische Entwicklung im Tourismusbereich. Mit diesem Konzept verspricht sich die Gemeinde; Gäste 'anzuziehen; die abseits von Golfplatz und Nobelhotel Urlaub machen 'm'öchteil. ''Luxusschuppe'n gibt es längst wie Sand am Ostseestrand.

Die meisten der Reriker Bürgerinnen und Bürger sehen das genauso und sind wie der Bürgermeister der Stadt, Wolfgang Gulbis, empört über die Entscheidung des Bundes. Gulbis spricht von einem »eklatanten Bruch von demokratisch getroffenen Entscheidungen« und einem »unzulässigen Eingriff in die kommunalen Mitwirkungsrechte«. Noch nicht geklärt ist außerdem, was mit den bereits getätigten Investitionen passieren soll. Die Kommune hat im Interesse einer zügigen wirtschaftlichen Belebung schon viei Zeit und Geld etwa in Seebrücke, Straßen und Plätze gesteckt. »Wir befürchten, daß sich die notwendige wirtschaftliche Entwicklung um weitere Jahre verzögert«, so Gulbis. Eine Sorge, die naheliegt, denn Fundus ist mit anderen Projekten, wie dem Ausbau des benachbarten Heiligendamm zum Nobelbad, arg in Verzug. Auch der stellvertretende Bür-

Bürgermeister Gulbis setzt sich zur Wehr

germeister von Rerik, Werner Blume betont, daß jetzt im Interesse der zivilen Nutzung der Halbinsel mit dem Investor verhandelt werden muß. Bei einem Treffen am Sonnabend dementierte der Fundus-Vertreter, daß dem Aufbau von Heiligendamm der Vorzug gegeben werde und signalisierte Entgegenkommen bei der Übertragung von Bauten an Rerik.

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, die mit SPD und PDS gegen den Verkauf an Fundus plädiert hatte, will es ganz genau wissen. In einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung

hat sie die zahlreichen Unstimmigkeiten und Tricks beim Vergabeverfahren in insgesamt 30 Fragen gegossen, auf die bislang noch keine Antworten vorliegen. Warum, will sie beispielsweise wissen, wurde dem Käufer vertraglich ein Rücktrittsrecht eingeräumt, das anderen von Anfang an verweigert wurde? Warum verzichtete die TLG auf eine Nachbesserungsklausel in Höhe von sieben Millionen Mark, forderte diese jedoch vom Konkurrenzinvestor? Die Bundesregierung möge doch auch Aufschluß darüber geben, warum die TLG erklärt, Fundus habe sich zur Munitionsberäumung verpflichtet, nach Angaben des Bundesfinanzministeriums aber vertraglich festgelegt ist, daß der Bund die Beseitigung militärischer Altlasten auf Dauer von drei Jahren bis zur Höhe des Kaufpreises übernimmt.

Auch das »Aktionsbündnis für Wustrow«, das von fast 2000 Bürgerinnen und Bürgern aus Rerik und Umgebung unterstützt wird, kann nicht erkennen, wo die Vorteile für den Bund beim Verkauf an Fundus liegen. Wegen Untreue gegen die Bundesrepublik hat das Bündnis vor wenigen Wochen Strafanzeige gegen das Bundesvermögensamt und die TLG in Rostock erstattet. »Auch wenn wir jetzt mit dem Investor verhandeln, um dessen Konzept abzustimmen, muß die Staatsanwaltschaft Klarheit in das Zustandekommen des Vertrages bringen«, sagt Georg Rosenkranz, SPD-Stadtvertreter und Mitinitiator des Aktionsbündnisses.

Da die Planungshoheit bei der Gemeinde liegt, müssen alle Vorhaben mit ihr abgesprochen werden, und das Ostseebad wird sich hüten, seinen Interessen zuwider Baurecht zu realisieren. Vielleicht liegt darin doch noch eine Chance für Wustrow, seine Pläne zu realisieren.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -