Die letzten Schüsse fielen im Tiergarten

In der ND-Serie zu Orten der Befreiung: An den drei großen Sowjetischen Ehrenmalen nagt nicht nur die Witterung

  • Matthias Busse
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

»Stationen der Befreiung« erlebte Berlin 1945, dramatisches Geschehen auf Straßen und Plätzen. In unserer Serie zum 60. Jahrestag stellen wir einige Orte im heutigen Alltag vor.


Die letzten Schüsse fielen in der Nacht. Mitten in Berlin trafen sie einen sowjetischen Soldaten. An einer während des Krieges heiß umkämpften Stelle im Tiergarten verletzten zwei Kugeln Iwan Iwanowitsch Stscherbak - mehr als 25 Jahre nach Kriegsende. Der Gardist bewachte 1970 am Vorabend des 53. Jahrestages der Oktoberrevolution das Sowjetische Ehrenmal an der Straße des 17. Juni.
Dort wurden 2500 während der Berliner Operation gefallene Rotarmisten beerdigt. Das Gelände bildete danach eine sowjetische Enklave im britischen Sektor. Nazischmierereien und in der Nähe deponierte Flugblätter ließen für den Mordversuch einen rechtsextremen Hintergrund vermuten. ND berichtete am 8. November 1970, dass der damalige Regierende Bürgermeister von Westberlin, Heinrich Schütz (SPD), das Attentat als »Verbrechen wie jedes andere« verharmlost und kein Wort über die Duldung faschistischer Terrorgruppen verloren habe.
Neonazistische Attacken gegen die drei großen sowjetischen Ehrenmale von Berlin gibt es bis in die jüngste Zeit. Erst zwei Tage vor dem Gedenken an den 60. Jahrestag der Kapitulation Hitlerdeutschlands sprühten in diesem Jahr Unbekannte Hakenkreuze auf die gesenkten rötlichen Steinflaggen am Eingang zum Ehrenhain in Treptow. Dort sind 7200 Gefallene der Roten Armee bestattet. Die Anlage, auf deren Hügel sich über einer Krypta eine zwölf Meter hohe Soldaten-Statue erhebt, ist das bekannteste und größte Denkmal des Zweiten Weltkriegs in Deutschland und Mittelpunkt von Gedenkveranstaltungen an die Befreiung.
Das größte sowjetische Gräberfeld von Berlin befindet sich jedoch in Pankows Ortsteil Schönholz, wo die sterblichen Überreste von etwa 13 000 Kämpfern und Kriegsgefangenen ruhen. Weniger monumental als die anderen beiden Anlagen ist diese als Ehrenfriedhof angelegt. Der Bildhauer Iwan Perschudtschew schuf eine um ihren gefallenen Sohn trauernde Mutter Erde. Diese Bronzeplastik hebt sich von den Heroendarstellungen in Tiergarten und Treptow ab.
Wer auf dem Schönholzer Soldatenfriedhof an der Germanenstraße stille Einkehr hält, dem fallen wackelnde Gehwegplatten und Grabeinfassungen auf. Verborgen bleiben die Schäden im Inneren des 33 Meter hohen Obelisken hinter der Pieta. Denn in Schönholz wurde bisher am wenigsten saniert.
Der prekäre Zustand der zwischen 1945 und 1949 erbauten Ehrenmale wurde erstmals 1994 offensichtlich, vier Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, die zuvor die Instandhaltung geregelt hatten. Besonders pikant: Der von Lew Kerbel für den Tiergarten geschaffene acht Meter hohe Bronzesoldat mit geschultertem Gewehr drohte herabzustürzen. »Ein Jahr vor dem 50. Jahrestag der Befreiung hatte sich niemand darüber Gedanken gemacht, was das für eine Rolle spielt, wenn der Soldat zum Jubiläum wackelt«, erinnert sich Horst Herrmann. Er ist Vorstandsmitglied der Berliner Freunde der Völker Russlands, die sich auch um das Andenken an die Befreier Berlins kümmern.
Der Verein gehört zur Arbeitsgemeinschaft Sowjetische Gräber und Ehrenmale in Deutschland, die soeben das Buch »Sowjetische Gräberstätten und Ehrenmale in Ostdeutschland heute« herausgegeben hat (Wostok Verlag, 190 Seiten, 15 Euro). Seit 1992 trug ein zehnköpfiges Autorenkollektiv Standorte, Fotos und Informationen zusammen, sichtete internationale Verträge und Gesetzestexte, um auf die notwendige Pflege des Kriegserbes aufmerksam zu machen.
Inzwischen hat sich einiges bewegt. »Die Verantwortung ist grundsätzlich geklärt. Aber es gibt Lücken in der Verantwortungskette. Es gefällt uns nicht, dass einige Ehrenmale herausgehoben worden sind«, sagt Herrmann. Dennoch: Die drei sowjetischen Ehrenmale in Berlin, denen eine gesamtstaatliche Bedeutung bescheinigt wird, ließen sich wegen ihrer aufwändigen Bauweise und Ausdehnung nicht ohne Bundes-Mittel erhalten, während kleinere Obelisken eher durch private Initiativen und mit Erstattungen nach dem Gräbergesetz zu pflegen sind. Der für die Ehrenmale zuständige Senats-Gruppenleiter Stadtgrün, Hans Georg Büchner, nennt als Problem: »Die Ehrenmale sind nicht nach deutschem Recht gebaut. Daher ist die Finanzierung noch nicht juristisch gelöst.«

Nächste Folge: Stabile Bunker

Die letzten Schüsse fielen in der Nacht. Mitten in Berlin trafen sie einen sowjetischen Soldaten. An einer während des Krieges heiß umkämpften Stelle im Tiergarten verletzten zwei Kugeln Iwan Iwanowitsch Stscherbak - mehr als 25 Jahre nach Kriegsende. Der Gardist bewachte 1970 am Vorabend des 53. Jahrestages der Oktoberrevolution das Sowjetische Ehrenmal an der Straße des 17. Juni.
Dort wurden 2500 während der Berliner Operation gefallene Rotarmisten beerdigt. Das Gelände bildete danach eine sowjetische Enklave im britischen Sektor. Nazischmierereien und in der Nähe deponierte Flugblätter ließen für den Mordversuch einen rechtsextremen Hintergrund vermuten. ND berichtete am 8. November 1970, dass der damalige Regierende Bürgermeister von Westberlin, Heinrich Schütz (SPD), das Attentat als »Verbrechen wie jedes andere« verharmlost und kein Wort über die Duldung faschistischer Terrorgruppen verloren habe.
Neonazistische Attacken gegen die drei großen sowjetischen Ehrenmale von Berlin gibt es bis in die jüngste Zeit. Erst zwei Tage vor dem Gedenken an den 60. Jahrestag der Kapitulation Hitlerdeutschlands sprühten in diesem Jahr Unbekannte Hakenkreuze auf die gesenkten rötlichen Steinflaggen am Eingang zum Ehrenhain in Treptow. Dort sind 7200 Gefallene der Roten Armee bestattet. Die Anlage, auf deren Hügel sich über einer Krypta eine zwölf Meter hohe Soldaten-Statue erhebt, ist das bekannteste und größte Denkmal des Zweiten Weltkriegs in Deutschland und Mittelpunkt von Gedenkveranstaltungen an die Befreiung.
Das größte sowjetische Gräberfeld von Berlin befindet sich jedoch in Pankows Ortsteil Schönholz, wo die sterblichen Überreste von etwa 13 000 Kämpfern und Kriegsgefangenen ruhen. Weniger monumental als die anderen beiden Anlagen ist diese als Ehrenfriedhof angelegt. Der Bildhauer Iwan Perschudtschew schuf eine um ihren gefallenen Sohn trauernde Mutter Erde. Diese Bronzeplastik hebt sich von den Heroendarstellungen in Tiergarten und Treptow ab.
Wer auf dem Schönholzer Soldatenfriedhof an der Germanenstraße stille Einkehr hält, dem fallen wackelnde Gehwegplatten und Grabeinfassungen auf. Verborgen bleiben die Schäden im Inneren des 33 Meter hohen Obelisken hinter der Pieta. Denn in Schönholz wurde bisher am wenigsten saniert.
Der prekäre Zustand der zwischen 1945 und 1949 erbauten Ehrenmale wurde erstmals 1994 offensichtlich, vier Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, die zuvor die Instandhaltung geregelt hatten. Besonders pikant: Der von Lew Kerbel für den Tiergarten geschaffene acht Meter hohe Bronzesoldat mit geschultertem Gewehr drohte herabzustürzen. »Ein Jahr vor dem 50. Jahrestag der Befreiung hatte sich niemand darüber Gedanken gemacht, was das für eine Rolle spielt, wenn der Soldat zum Jubiläum wackelt«, erinnert sich Horst Herrmann. Er ist Vorstandsmitglied der Berliner Freunde der Völker Russlands, die sich auch um das Andenken an die Befreier Berlins kümmern.
Der Verein gehört zur Arbeitsgemeinschaft Sowjetische Gräber und Ehrenmale in Deutschland, die soeben das Buch »Sowjetische Gräberstätten und Ehrenmale in Ostdeutschland heute« herausgegeben hat (Wostok Verlag, 190 Seiten, 15 Euro). Seit 1992 trug ein zehnköpfiges Autorenkollektiv Standorte, Fotos und Informationen zusammen, sichtete internationale Verträge und Gesetzestexte, um auf die notwendige Pflege des Kriegserbes aufmerksam zu machen.
Inzwischen hat sich einiges bewegt. »Die Verantwortung ist grundsätzlich geklärt. Aber es gibt Lücken in der Verantwortungskette. Es gefällt uns nicht, dass einige Ehrenmale herausgehoben worden sind«, sagt Herrmann. Dennoch: Die drei sowjetischen Ehrenmale in Berlin, denen eine gesamtstaatliche Bedeutung bescheinigt wird, ließen sich wegen ihrer aufwändigen Bauweise und Ausdehnung nicht ohne Bundes-Mittel erhalten, während kleinere Obelisken eher durch private Initiativen und mit Erstattungen nach dem Gräbergesetz zu pflegen sind. Der für die Ehrenmale zuständige Senats-Gruppenleiter Stadtgrün, Hans Georg Büchner, nennt als Problem: »Die Ehrenmale sind nicht nach deutschem Recht gebaut. Daher ist die Finanzierung noch nicht juristisch gelöst.«

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