In dubio pro vita, außer ...
Nationaler Ethikrat nimmt zur Patientenverfügung Stellung
Nach monatelangen Beratungen hat sich der Nationale Ethikrat gestern für eine umfassende gesetzliche Regelung der »Patientenverfügung« ausgesprochen.
Jeder Mensch hat das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Diese Menschenwürde garantiert das Grundgesetz, und sie sollte auch für Schwerkranke und Sterbende gelten. Doch niemand ist davor gefeit, seine Wünsche in der letzten Lebensphase nicht mehr äußern zu können. Die Angst vor einer vielleicht sinnlos anmutenden künstlichen Lebensverlängerung durch Intensivmedizin bringt Menschen dazu, sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen. Am Ende steht manchmal der Wunsch, eine Patientenverfügung niederzulegen. Doch bisher ist selbst ein notariell beglaubigter Letzter Wille für Ärzte nicht verbindlich. Denn in der Öffentlichkeit ist umstritten, mit welcher Reichweite und unter welchen Bedingungen eine »solche vorausgreifende Selbstbestimmung« zu respektieren ist. Wirklich verbindlich soll eine Patientenverfügung sein, meint die Mehrheit im Nationalen Ethikrat, und zwar unabhängig davon, wann diese Willenserklärung abgegeben wurde. Das sagte der Vorsitzende, Professor Spiros Simitis, gestern in Berlin. Gleichzeitig plädiert das politikberatende Gremium dafür, die Verfügung wenigstens alle fünf Jahre zu aktualisieren. Auch die Funktion von Bevollmächtigten und gerichtlich eingesetzten Betreuungspersonen müsse rechtlich definiert werden. Denn eine derart bevollmächtigte Person könnte gegebenenfalls gegen die Einschätzung von Ärzten und Angehörigen über Leben und Tod des Patienten entscheiden, bestätigte der Vizevorsitzende des Ethikrates, Professor Eckhard Nagel. Eine »Vorsorgevollmacht« zu erteilen, sei daher eine gravierende Entscheidung. Dann könnte der Grundsatz »in dubio pro vita« (im Zweifel für das Leben) eingeschränkt werden. Rechtssicherheit müsse auch für Ärzte, Angehörige und Pflegekräfte geschaffen werden - im Bürgerlichen Gesetzbuch und im Strafrecht. Das Selbstbestimmungsrecht hat aber Grenzen - beim Wunsch nach aktiver Sterbehilfe, sagte Nagel. Auch könne ein Patient keinen Anspruch auf medizinische Maßnahmen, wie etwa eine Herztransplantation, erwerben. Vielmehr sei die Patientenverfügung eher ein Ausschlussrecht, welche medizinische Behandlung man unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr zulassen wolle. Klar festgelegt werden müsse überdies, dass auch mit einer Patientenverfügung der Kranke Anspruch auf schmerztherapeutische, pflegerische und psychosoziale Unterstützung habe. Auch dürfe dies keinen Einfluss darauf haben, ob jemand Zugang zu Versorgungseinrichtungen hat, betont der Ethikrat und verweist auf Fälle, wo das Vor- oder Nichtvorliegen einer Patientenverfügung zu ökonomischen Zwecken missbraucht wurde. Diese Situation sollte der Gesetzgeber endlich ändern, meint der Ethikrat. Schätzungen von rund sieben Millionen bereits existierenden Patientenverfügungen hält Nagel zwar für zu hoch gegriffen. Eine gesetzliche Regelung könnte aber ihre Zahl erhöhen. Derzeit seien viele Menschen sehr verunsichert. Zustimmung und Unterstützung findet der Ethikrat bei der Deutschen Hospiz Stiftung. »Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Nationale Ethikrat Patientenverfügungen als Mittel der Selbstbestimmung anerkennt«, sagt der Vorsitzende Eugen Brysch. Auch die Hospiz Stiftung als Patientenschutzorganisation der Schwerstkranken und Sterbenden beklagt, dass es noch immer keinen Gesetzentwurf gibt, und hat deshalb selbst einen Vorschlag entwickelt, der noch im Juni vorgestellt werden soll. Nachdem die Enquête-Kommission sowie Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sich zur Patientenverfügung geäußert haben, könne man zwar weiter verschiedener Ansicht sein, meint der Ethikrat-Vorsitzende Simitis. Aber die nächste Bundesregierung - welche auch immer - müsse dies gesetzlich regeln. Ob eine schwarz-gelbe Regierung den Ethikrat weiterarbeiten lasse oder eher auflösen werde, wollte Simitis nicht vo...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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