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Unseren täglich Pilz gib uns heute
Vegetarier und trotzdem Lust auf ein saftiges Steak?
Biotech macht's möglich! Angesichts des steigenden Proteinbedarfs der Menschheit rechnete man in den 60er Jahren mit Hungersnöten in der Zukunft. Da schien die Entdeckung verheißungsvoll, dass man proteinproduzierende Mikroorganismen nicht nur mit zuckerhaltigen Nährlösungen, sondern auch mit Kohlenwasserstoffen des Erdöls (Alkane) oder Methanol ernähren kann.
Im östlichen Europa baute man dabei auf dauerhaft billiges Erdöl und Alkanhefen (Candida), z.B. »Fermosin« aus Schwedt, der Westen favorisierte methanolverwertende Hefen und Bakterien. Beide Riesenprojekte scheiterten. Die Alkanhefen blieben nicht frei von Krebsverdacht, den westlichen Futtermitteln verdarben die EU-Subventionen für Magermilchpulver die Preise, und beiden zogen die Erdölkrisen den finanziellen Boden unter den Füßen weg.
Ein teurer Misserfolg? Jein, denn die Biotechnologen sammelten unschätzbare Erfahrungen beim Bau und Betrieb von riesigen Bioreaktoren. Inzwischen kann man sich den Umweg über das Tierfutter sparen und direkt Nahrungsmittel erzeugen. Ein sehr erfolgreiches Einzeller-Produkt ist heute das von Rank Hovis McDougall (RHM) entwickelte Mycoprotein (grch. mykes = Pilz). Über 30 Millionen englische Pfund gab der Nahrungsmittelriese RHM aus, um einen Pilz zu finden, der sich in passable Imitationen von Fisch, Geflügel und Fleisch verwandeln lässt. Die Forscher des Unternehmens hatten über 3000 Bodenproben aus der ganzen Welt analysiert, doch der Erfolg lag beinahe vor der Tür: Im englischen Dorf Marlowe in Buckinghamshire entdeckte man Fusarium graminolarum. Dieser Pilz war zuvor nur als Verursacher von Wurzelfäule bei Weizen bekannt.
RHM produzierte damals 15 Prozent des britischen Speisepilzangebotes. Um das negativ belegte Wort Mikroben zu vermeiden, warb man: »Fusarium ist ein Pilz wie unsere Speisepilze, die wir essen, ohne zweimal nachzudenken.« Fusarium ist geruchs- und geschmackslos (für Imitate ideal) und enthält etwa 50 Prozent Protein, wie gegrilltes Beefsteak. Sein Gehalt an pflanzlichem(!) Fett ist jedoch deutlich niedriger (13 Prozent); kein Cholesterol, dafür hoher Faseranteil (25 Prozent) – das alles bringt Gesundheitspunkte. Waren bei anderen Mikroben Nucleinsäuren (problematisch als Gicht-Verursacher) ein Problem (15 bis 25 Prozent), so enthält Mycoprotein nicht mal ein Prozent davon.
Die Aminosäurezusammensetzung des Pilzes wird von der UN-Welternährungsorganisation FAO als »ideal« bezeichnet. Doch seine Trumpfkarte ist die Anpassungsfähigkeit: Je nach Faserlänge, die von der Verweildauer im Bioreaktor abhängt, taugt er für Suppen ebenso wie für überzeugende Nachahmungen von Geflügel, Schinken und Kalbfleisch.
Das Nährmedium von Fusarium – ein Glucosesirup mit Ammoniak – lässt sich aus beliebigen Stärkeprodukten gewinnen. Kartoffeln, Weizen oder Reis eignen sich genauso wie tropische Cassava-Wurzel oder Zuckerrohr. Auf diese Art ist Protein deutlich effizienter zu erzeugen als über die Fütterung von Haustieren.
Inzwischen ist das Pilzeiweiß in England als QUORN auf dem Markt und hat auch Deutschland erreicht; Quorn-Schnitzel, -Wurst und -Wiener sind bereits im Angebot. Mächtige Reklame bewirkte gegenüber 1993 eine Umsatzsteigerung auf das 50-fache (150 Mill. US-Dollar).
»Mein Schnitzel schmeckt heute leicht nach Bioreaktor...«, könnte irgendwann eine Mäkelei auch an deutschen Tischen werden.
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