Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

mmn »Mir kommt kein Schwarzkopf in den Wagen!«

In Zittau fordert der BGS Hilfe, auch zum Preis unterlassener Hilfe für Ausländer Von Marina Mai

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Nacht zum 30. Oktober hat das Leben von Nazim Acar verändert. Auf dem Heimweg von seinem Dönerstand zur Wohnung im Zittauer Stadtzentrum überfielen ihn etwa 15 rechte Schläger. Schwerverletzt schleppte er sich zum Taxistand. Der Chauffeur wies ihn ab.

Der 38jährige Türke mußte 15 Tage im Krankenhaus liegen. Heute hat er ein Bein im Gips, vier Zähne verloren, eine gebrochene Rippe und Narben am Hinterkopf. Um, seinen Dönerstand weiterzubetreiben, muß er eine Aushilfe beschäftigen, ist selbst ohne Einkommen.

Nazim Acar schleppte sich, zwei Uhr nachts, mit letzter Kraft durch das menschenleere Stadtzentrum zum Taxistand. Er wollte in das zwei Kilometer entfernte Krankenhaus gefahren werden. Der Taxifahrer verweigerte ihm die Fahrt. Nazim Acar- »Ich mußte mich wieder aufrappeln, kroch weiter zur Wohnung einer Bekannten.« Die rief den Krankenwagen. Da war der Mann schon bewußtlos.

W wartet am Taxistand am Marktplatz in Zittau auf Kunden. Er und seine Chauffeurskollegen sprechen gern mit Journalisten. Die Medien waren die einzigen, die sich von Anfang an auf die Seite der Taxifahrer geschlagen haben. Wer der Kollege war, der dem Dönerverkäufer die Mitnahme verweigerte, wisse er nicht, sagt W »Aber verstehen kann ich ihn. Mir kommen auch keine Schwarzköpfe in den Wagen. Außer die, die ich kenne.«

Dabei könnte er es sich als Dienstleistungsunternehmer bei einem Nettoeinkommen um die 1300 Mark eigentlich nicht leisten, Fahrgäste abzuweisen. Aber er will keine Haftstrafe riskieren. Daß W., wenn er Fahrgäste abweist, seine Personenbeförderungspflicht als Taxifahrer verletzt, wiegt nicht so schwer Vor gut einem Jahr haben sächsische Behörden den Taxifahrer-Innungen schriftlich bescheinigt, sie würden alle Augen zudrücken, falls ein Ausländer mit Aufenthaltsrecht sie wegen Verweigerung der Personenbeförderungspflicht anzeigt.

39 Taxifahrer gibt es in der Stadt. Elf standen bereits vor dem Kadi, weil sie illegal eingereiste Ausländer von Zittau ins Landesinnere fuhren. Zwei Chauffeure wurden freigesprochen. Vier sitzen im Gefängnis. Die übrigen fünf Verfahren sind noch nicht abgeschlossen, die Staatsanwaltschaft hat Haftstrafen beantragt.

Allen wurde »Einschleusen von Ausländern« zur Last gelegt. »Einschleusen« bedeutet nicht etwa, die Chauffeure hätten Flüchtlinge über die Grenze gebracht. Sie transportierten illegal eingereiste Ausländer innerhalb der Bundesrepublik. Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen jn den Taxifahrern das letzte Glied einer arbeitsteilig organisierten internationalen Schleuserorganisation. In keinem einzigen Verfahren konnte nach Kenntnis der Taxifahrer-Verteidigerin Karin Zebisch jedoch nachgewiesen werden, daß

die Chauffeure im direkten Kontakt zu Schleusern standen.

Die Indizienkette, mit denen sächsische Gerichte die Taxifahrer verurteilten, ist geradezu abenteuerlich: So wurde als Sachverständige eine Beamtin der Ausländerbehörde vernommen. Die sagte aus, im ganzen Landkreis wohnten nur etwa 1000 Ausländer Darunter seien 600 polnische Studenten und 150 Asylbewerber, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation als Taxikunden nicht infrage kämen. Daraus schloß das Gericht, die Chauffeure hätten genau gewußt, daß es sich bei ihren Fahrgästen nur um »Illegale« handeln konnte.

Die sächsischen Richter verlangen den Taxifahrern einen Generalverdacht gegenüber ausländischen Fahrgästen ab. Denn ein Taxifahrer hat nicht das Recht, die Personalien seiner Fahrgäste zu kontrollieren. Er hätte auch gar nicht die Qualifikation, meint Karin Zebisch. »Manchmal weiß der BGS selbst nicht, ob beispielsweise ein Jugoslawe ein Visum benötigt. Die Beamten blättern endlos in ihren Dienstanweisungen, wenn sie Leute kontrollieren.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.