Wer hat Schuld am Brühler Zugunglück?

Landgericht Köln stellte das Verfahren gegen DB-Mitarbeiter ein

Geldbußen von 7000 bis 20000 Mark haben die vier Eisenbahner zu zahlen, die wegen des Eisenbahnunglücks in Brühl vor dem Landgericht Köln angeklagt waren. Das Gericht stellte jetzt das Verfahren wegen »der Geringfügigkeit der Schuld der Angeklagten« ein.

Neun Menschen hatte die Entgleisung des Schnellzuges 203 Amsterdam-Basel im Bahnhof Brühl am 6.Februar 2000 das Leben gekostet. 149waren verletzt worden. Der Schnellzug war auf Grund von Bauarbeiten im Bahnhof nicht über das gewöhnliche Gleis geleitet worden. An einem Zwischensignal hatte der Lokomotivführer mittels eines Ersatzsignals den Auftrag erhalten, an dem Halt zeigenden Signal vorbei zu fahren. Bis zu dem über zwei Kilometer entfernten Ausfahrsignal aus dem Bahnhof hätte der Zug nur 40 Kilometer je Stunde fahren dürfen. Der Lokführer Sascha B. aber meinte, sich bereits wieder auf der freien Strecke zu befinden und beschleunigte den Zug auf Tempo 122. In einer Weiche entgleiste der Zug schließlich. Angeklagt waren der Lokführer sowie drei Mitarbeiter des Betriebsbezirks Köln, die eine missverständliche Bau- und Betriebsanweisung sowie eine fehlerhafte Übersicht der Langsamfahrstellen (La) erarbeitet hatten. Diese »La« hatte den Lokführer zusätzlich verunsichert. Dass es nach mehr als fünf Monaten Prozess zur Einstellung des Verfahrens kam, überraschte die Beobachter nicht. Als Klaus Junker, das für die Betriebssicherheit zuständige Vorstandsmitglied von DB-Netz, als sachverständiger Zeuge vernommen worden war und das Gericht von einem mit dem Eisenbahn-Bundesamt abgestimmten Maßnahmekatalog erfuhr, lag auf der Hand, dass die Versäumnisse nicht allein bei den Angeklagten zu suchen waren. Schon aus prozessökonomischen Gründen bot sich der Deal an, auf die Weiterführung der Verhandlung zu verzichten. Dieser Ausgang wird nicht jeden gefallen, hatten doch einige Medien den Eindruck erweckt, das gesamte Unternehmen Deutsche Bahn sei defekt und unter den hoch bezahlten Angestellten herrsche Chaos und Anarchie. Das trifft nicht zu, wie ND bereits am 24. Juli berichtete. Vielmehr liegen die wahren Ursachen in der von den Politikern gewollten Rentabilität der Bahn, so dass dieser nichts weiter übrig bleibt, als am Personal zu sparen. So kam einiges zusammen: Art und Dauer der Einweisung für die Streckenkunde der Lokomotivführer genügen nicht; die Bearbeiter der Bauanweisungen sind bei der Vielzahl der Baustellen und Abstimmungen überfordert. Der 32 Seiten lange Maßnahmekatalog trägt dem nun Rechnung, auch wenn er eine Personalaufstockung nicht vorsieht. Zumindest zeigt er aber, dass die Deutsche Bahn gewillt ist, aus den im Prozess offenbar gewordenen Mängeln zu lernen. Trotzdem bleibt ein Unbehagen. Denn der Katalog kam nur dadurch zustande, dass der Vorsitzende Richter Heinz Kaiser sehr gründlich aufklärte, wer eigentlich wofür verantwortlich war und wo die Schwachstellen bei der DB zu suchen sind. Auch die Sachverständigen bzw. Zeugen des Eisenbahn-Bundesamtes erhellten die Umstände, wie es zur Katastrophe von Brühl kommen konnte. Nicht zu vergessen ist dabei, dass die Untersuchungen am Unfallort durch das Eisenbahn-Bundesamt zunächst recht schlampig durchgeführt worden waren. Wo welches Signal gestanden hat, wurde erst nach Veröffentlichungen in den Zeitungen und im Fernsehen rekonstruiert. Auch Staatsanwalt Jürgen Krautkremer zeigte sich zunächst nicht gewillt, ein Ermittlungsverfahren zu führen und anzuklagen. DB-Chef Hartmut Mehdorn hatte schon Ende Februar 2000 den Eindruck zu erwecken versucht, im Unternehmen sei alles in Ordnung; die Schuld liege allein beim Lokomotivführer, der jetzt vor der Öffentlichkeit (und den Medien) zu schützen sei. Schließlich verbat sich Mehdorn vor dem Bundestagsausschuss für Verkehr »die Einmischung in ein laufendes Verfahren« vom Eisenbahn-Bundesamt. Mehdorn bestritt im Ausschuss die Mängel in der Betriebsanweisung, in der »La« und überhaupt der sicherungstechnischen Ausgestaltung des Bahnhofs und bezweifelte die Feststellungen Hans-Heinrich Graufs, des Beauftragten für Unfalluntersuchung beim Eisenbahn-Bundesamt. In diesen Umgang mit der Aufsichtsbehörde ist auch die Reaktion des Personalvorstandes Horst Föhr vom 23. April 1999 einzuordnen. Noch vor dem Brühler Unfall hatte das Eisenbahn-Bundesamt angeregt, den Erwerb der Streckenkenntnis beim Abweichen vom Regelbetrieb zu verbessern. Föhr erklärte dazu: »Die eingeschränkte Routine der Triebfahrzeugführer bei Fahrten auf falschem Gleis bzw. im Linksfahrbetrieb ist nicht nachteilig.« Das Brühler Unglück, wo nicht links, aber auf einem ganz unüblichem Fahrweg gefahren wurde, widerlegte Föhr nachdrücklich. Der Bundestagsausschuss kam der Deutschen Bahn in ihrem Bemühen, eine weiße Weste zu tragen, entgegen, indem er den Untersuchungsbericht des Eisenbahn-Bundesamtes unter Verschluss legte. PDS-Bundestagsabgeordneter Winfried Wolf sorgte für dessen Veröffentlichung, was vermutlich dazu beitrug, dass die Staatsanwaltschaft in Köln dann aktiv wurde. Wer den Prozess in Köln beobachtete, konnte sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass die Zeugen beeinflusst worden sind, um die Vorgänge bei der DB zu vernebeln, damit es am Ende beim »menschlichem Versagen« auf unterster Ebene blieb. In dem Sinne ist auch eine Passage in der »Information an die Mitarbeiter« der DB vom 25. Oktober 2000 zu verstehen: »Die Deutsche Bahn darf nicht als solche durch dieses Verfahren in Misskredit gebracht und als eigentlich Schuldige dargestellt werden.« Warum gibt die Deutsche Bahn nicht die Mängel im System zu, die letztlich zur Katastrophe von Brühl führen musste? Oder dass inkompetente Führungskräfte sich mit zwar höflich formulierten, dafür aber missverständlichen Formulierungen in Vorschriften und Richtlinien nach unten absichern. In diesem Wust von Vorschriften bleibt dann beim Eisenbahner »an der Front« immer etwas hängen. Die Geldbußen lassen sie nicht zu Vor...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.