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  • Politik
  • Emily Bronte starb vor 150 Jahren

Ein Roman der Rebellion

  • Wolfgang Wicht
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Roman dominierte im 19. Jahrhundert das kulturelle Leben Englands. Man schätzt, daß etwa 40 000 Titel erschienen. Charles Dickens, William Makepeace Thackeray, George Eliot, Anthony Trollope oder George Meredith sind Namen, die in die Weltliteratur eingingen. Hunderte von Autoren sind völlig vergessen. Ein Buch jedoch überragt, zumindest aus heutiger Sicht, das Gebirge des viktorianischen Romans. Es erschien im Dezember 1847 unter dem Titel »Wuthering Heights«, deutsch »Die Sturmhöhe«. Zu seiner Zeit fand es wenig Anerkennung; ein Publikumsliebling wurde es gar nicht. Es ist schon bezeichnend, daß der Roman und seine Autorin, Emily Bronte, in den vor 100 Jahren verbreiteten deutschen Geschichten der englischen Literatur von Eduard Engel und Gustav Körting überhaupt nicht vorkommen. Später, bis nach dem Zweiten Weltkrieg, figuriert das Werk nur beiläufig als letzte Zuckung der Mode des Schauerromans.

Nichts ist falscher als das. »Wuthering Heights« ist keine Gothic Novel. Der Li-

teraturwissenschaftler Arnold Kettle, der 1951 mit seiner einflußreichen »Introduction to the English Novel« die grundsätzliche Neubewertung einleitete, nannte das Buch einen »symbolischen Roman«. Er stellte es damit dem großen Bereich des realistischen Schreibens entgegen, das sich durch universelle Ausweitung des sozialen Gegenstands der Literatur, unendliches Interesse für Charaktere und Details sowie die Verpflichtung gegenüber moralischen Normen auszeichnete. Der sozial aufstrebende, mobile Held, der allwissende Erzähler, die Ausrichtung der Handlung auf einen glücklichen Schluß, klare ethische Differenzierungen und die auf Einfühlung des Lesers zielende vorgebliche Lebensechtheit waren die Stützen des Genres.

»Wuthering Heights« ignoriert das alles. »Wuthering Heights« ist ein radikaler Roman, in Gestaltung und Dargestelltem ein Roman der Rebellion. Seine Form ist innovativ, eigentlich vorbildlos: Was Emily Bronte macht, findet erst mit Joseph Conrad und mit dem Modernismus Aufhebung. Sein Sinn liegt in der literarischen Modellierung des Aufsässigen, der Auflehnung gegen Klassenschranken und Vorteilsmoral in der ins intensiv Unheimliche erhobenen Liebe zweier junger

Menschen. Der Sieg der gesellschaftlichen Normalität löst in der Frau seelisches Unglück und im Protagonisten unstillbare Rachegefühle aus. Mit satanischer Konsequenz treibt er seine privaten Gegner mit deren eigenen Mitteln ruchloser Geschäftspraxis in Ruin und Tod. Dieser Roman kennt keine Gnade. Moral im bürgerlich ethischen Sinne wird nicht gepredigt, sondern entlarvt. Die übliche »realistische« Wahrheit ist nicht zu haben. Sinn wird Form, wenn der bis ins letzte Detail durchkonstruierte Text durch verschiedene Erzählerinstanzen gebrochen wird, Metaphern des Gefangenseins und der Befreiung sich leitmotivisch durchsetzen, die Sprache für die erbarmungslose Erzählung sich ausgesprochen poetisch ausprägt.

Wie der Roman, so kam auch seine Autorin gleichsam aus dem Nichts. Sie war eine der Töchter eines tatkräftigen, politisch und sozial engagierten, informationsbedachten Landpfarrers in einem kleinen Ort der kargen, moorigen, windigen Hügellandschaft West-Yorkshires. Hier spielt auch der Roman, den sie zwischen Oktober 1845 und Juni 1846, sie war damals 27, verfaßte. Aus dem Pfarrhaus ist sie, abgesehen von einem kurzen Schulintermezzo in Brüssel, nie herausgekommen. Ihre Schwestern Charlotte und Anne schrieben ebenfalls Romane. Das Genie aber war Emily Neben der »Sturmhöhe« hinterließ sie eine schmale Zahl von Gedichten, die sie gleichwohl auch zu einer bedeutenden Lyrikerin ihres Jahrhunderts machen. Viel ist aus ihrem Leben, von ihrem Denken und Fühlen nicht bekannt. Sie starb 3 Oj ährig am 19 Dezember 1848 an Tuberkulose.

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