- Politik
- FRAUENGESCHICHTE(N): Ines Armand, »Towarisch Inessa«
Die Frau, die Lenin faszinierte
Ines Armand
ll 874-1920)ihrer Forderung nach »Freiheit der Liebe« vermochte der Revolutionär und Begründer des Sowjetstaates, W I. Lenin, nicht zu folgen
Foto: ND-Archiv
Für die östlichen Interpreten bolschewistischer Parteigeschichte galt Inees Armand stets als eine der bedeutendsten Frauen in der revolutionären Bewegung und neben Alexandra Kollontai als die wichtigste Kämpferin für die Lösung der Frauenfrage im Sozialismus. Schwerer tat man sich schon damit, sie als eine frühsowjetische Feministin zu charakterisieren, die für Frauenrechte focht, welche außerhalb der Lösung des Hauptwiderspruches zwischen Kapital und Arbeit lagen und gewissermaßen unabhängig von der Klassenzugehörigkeit existierten. Ganz und gar aber wurde darüber geschwiegen, was in der westlichen Literatur stets und vor allem Erwähnung fand, daß Ines Armand der Schützling und wahrscheinlich die heimliche Geliebte Lenins gewesen sei.
Ines Armand, die selbstbewußte, kluge, Lebensfreude und Energie ausstrahlende Frau, machte 1909 die Bekanntschaft Lenins. Damals war sie noch nicht als »Towarisch Inessa« in die Literatur
eingegangen, obgleich sie ihr Werdegang schon längst dazu bestimmt hatte.
Vor 125 Jahren, am 8. Mai 1874 in Paris als Tochter des französischen Opernsängers Theodore Pecheux d'Herbenville (bekannter unter seinem Künstlernamen Theodore Stephane) und dessen schottisch-französischen Frau, der Schauspielerin Nathalie Wild, geboren, kam sie nach dem frühen Tod des Vaters als 15jähriges mittelloses junges Mädchen in Begleitung der Großmutter zu ihrer in Moskau lebenden Tante, die in der reichen, russifizierten Kaufmannsfamilie des Jewgenij Armand Musik und Französisch unterrichtete. Hier wurde ihr eine solide Ausbildung zuteil. Neben französisch und englisch lernte sie fließend russisch und deutsch sprechen und hervorragend Klavier spielen.
Fasziniert vom Charme der jungen Französin, warb denn auch bald der älteste der Armand-Söhne, Alexander, entgegen den landläufigen Regeln einer Standesheirat, um Ines und fand Gehör 1893 heirateten sie. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor
Wer in Rußland wachen Sinnes lebte, entwickelte frühzeitig ein soziales Be-
wußtsein. Anfänglich für Tolstois Natascha in »Krieg und Frieden« begeistert, distanzierte sich Ines nach und nach vom Rollenverständnis der Frau als Kindergebärerin. Was zunächst emotional bedingt schien, fand bald einen anderen Ausdruck. Als engagierte Feministin begann sie, sich als Mitglied einer Moskauer Wohltätigkeitsgruppe der Prostituierten anzunehmen.
Wie viele ihrer Zeitgenossen, die es zu politischer und sozialer Literatur hinzog, blieb auch Ines Armand nicht unberührt
vom »Kultroman« der jungen intellektuellen Generation Rußlands, von Tschernyschewskis »Was tun?«. Wie seine Heldin Wera Pawlowna ging sie daran, den Kreis der Probleme, der die Befreiung der Frau umgab, beginnend mit sich selbst zu lösen. Die geistige und politische Nähe, die sie ihrem um ein Jahr jüngeren Schwager Wladimir zugeneigt machte, wurde immer stärker zu einem festen persönlichen Band. Als daraus Liebe geworden war, trennte sie sich ohne Scheidung von ihrem Mann. Fortan lebte sie mit Wladimir, dem sie einen Sohn, ihr fünftes Kind, gebar
Ihre Hinwendung zur sozialistischen Bewegung stand mit ihrer persönlichen Entscheidung in engem Zusammenhang. 1904 wurde Ines Mitglied der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und beteiligte sich als Agitatorin der Moskauer Parteiorganisation aktiv am Dezemberaufstand 1905. Zweimal verhaftet, wurde sie 1907 nach Mezen in der Provinz Archangelsk verbannt. Wladimir folgte ihr in den Norden, aber seine Tuberkulose-Erkrankung zwang ihn, sie zu verlassen und sich in die Schweiz zu begeben. Ines, die um sein Leben bangte, flüchtete aus der Verbannung. Doch nach zwei Wochen ihres Beisammenseins an der französischen Riviera verstarb Wladimir im Januar 1909
Obgleich allein geblieben, hörte der Konflikt, der Ines Armand im Verlaufe ihres politischen Lebens zu beschäftigten
begann - wie persönliche und gesellschaftliche Interessen in Übereinstimmung gebracht werden können und ob es nicht angezeigter wäre, persönliche Opfer in der einen oder anderen Richtung zu bringen -, nicht auf zu existieren. Eine neue erotische Beziehung ließ sich nur schwerlich daran knüpfen, eine neue Liebe zu einem hochgeschätzten und sehr verehrten Mann aber schon.
Es ist keine Frage, daß Lenin von Ines fasziniert war und sie überaus anziehend fand. Seitdem er sie kennengelernt hatte, blieb er ihr ein Leben lang verbunden. Aber als Mensch, der geordnete Verhältnisse bevorzugte, war er sichtlich von Gefühlen des Sturms und Drangs überfordert, die auf einer rein privaten Ebene zu liegen schienen. Die minutiöse Analyse, mit der er brieflich auf Ines' Forderung nach »Freiheit der Liebe«, die in ihrer ihm zugesandten Disposition einer Broschüre über Frauenrechte enthalten war, reagierte, spricht Bände für seine konservative und gehemmte Einstellung zu den Beziehungen zwischen den Geschlechtern.
Ines Armand starb am 24. September 1920 an Cholera, nachdem sie sich auf dringendes Anraten Lenins zu einer Erholungsreise in den Kaukasus begeben hatte. Als sie am 12. Oktober in Moskau begraben wurde, stand ein fassungsloser, vom Schmerz überwältigter Lenin an ihrem Sarg.
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