Ingenieure des Todes - ohne Reue

Topf & Söhne: die mörderischen Geschäfte eines deutschen Unternehmens

  • Erika Sophie Schwarz
  • Lesedauer: 6 Min.
Vom Fenster meiner Erfurter Wohnung aus kann ich bei klarer Sicht am Horizont den Glockenturm von Buchenwald sehen. Buchenwald, was für ein schöner Name für einen der schrecklichsten Orte der deutschen Geschichte. Auch Steigerwald, vor mir, klingt harmlos. Nur wenige Monate nach der so genannten »Machtergreifung« erschlugen SA-Männer hier den Kaufmann Waldemar Schapiro - der erste Jude, der nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler in Erfurt ermordet wurde. Ich weiß nicht, wie viele Erfurter seinen Tod damals zur Kenntnis genommen haben. Es interessierte auch 1991 kaum jemanden, als bei der Renovierung des Hauses Thomasstraße 57 die letzte Spur von Schapiro getilgt wurde. Seit 1928 war an der dortigen Hauswand zu lesen: »Waldemar Schapiro - Hausflur rechts«. Nun ist die Fassade frisch gestrichen, die Erinnerung ausgelöscht. Sicher, der Bekanntheitsgrad des Kaufmannes Schapiro dürfte kaum über seinen Kundenkreis hinausgereicht haben. Der Erfurter Firma J. A. Topf & Söhne war es hingegen gelungen, »sich nicht nur in Europa, sondern auch in allen übrigen Erdteilen einen Namen zu verschaffen«, wie es in einer Firmenschrift von 1922 heißt. Dieser »Ruhm« sollte sich im Zweiten Weltkrieg auf schreckliche Weise mehren. Die Firma war 1878 von J. A. Topf gegründet worden - ein Brauereifachmann, der sich auch mit der Verbesserung industrieller Feuerungen befasste. »In seinen Söhnen waren ihm tatkräftige Mitarbeiter entstanden, so dass das Gebiet der Feuerungstechnik durch Zusammenarbeit des Chemikers mit dem Techniker erfolgreich bearbeitet werden konnte«, heißt es in dem genannten Aufsatz. Das Spezialgebiet der Firma war die Herstellung kompletter Mälzereianlagen. Neben industriellen Öfen »von unerreichter Dauerhaftigkeit« wurden zunehmend Feuerbestattungsöfen gebaut. Das Geschäft lief in den 20er Jahren gut, Ludwig Topf war alsbald mehrfacher Millionär. Über Jahrzehnte hatte sich kein deutscher Historiker gründlich mit der Frage auseinander gesetzt, welchen Anteil die Ingenieure der Firma Topf am Völkermord hatten. In der »Geschichte der Stadt Erfurt« von 1982 finden sich nur wenige Zeilen zum Thema nebst Abbildung eines Verbrennungsofens aus Buchenwald. Es blieb ausländischen Autoren vorbehalten, sich mit diesem düsteren Kapitel »deutschen Erfindergeistes« auseinander zu setzen, wie etwa dem französischen Historiker Jean-Claude Pressac, dessen gründlich recherchiertes Buch 1993 erschien. Lange vor ihm hatten die beiden tschechischen Auschwitz-Häftlinge Ota Kraus und Erich Kulka ein Buch mit dem Titel »Massenmord und Profit« (1963) veröffentlicht, in dem sie anhand zahlreicher Dokumente bewiesen, welche deutschen Firmen an der »Todesfabrik« Auschwitz verdienten. Über die Firma Topf & Söhne schrieben sie: »Die Dienste der Firma Topf & Söhne waren beachtlich. Es ist kein Zynismus, wenn wir sagen, dass die Firma Topf & Söhne Anlagen errichtete, die dem Menschen so wirksam dienten, dass von ihm eine halbe Stunde, nachdem er das Gebäude betreten hatte, nur vergänglicher Rauch übrig blieb.« Ludwig Topf und sein Oberingenieur Prüfer hatten bereits 1939 Konstruktionspläne für Verbrennungsöfen mit drei Kammern angefertigt und sie dem Kriegsministerium vorgelegt. Im Konzentrationslager Buchenwald, unweit von Erfurt, gab es schon damals »Bedarf«. Im Oktober 1942 reichten die ehrgeizigen Firmenmitarbeiter eine Neuheit, einen »kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb«, beim Reichspatentamt ein. In ihrem Begleitschreiben ist zu lesen: »In den durch Krieg und seine Folgen bedingten Sammellagern der besetzten Ostgebiete mit ihrer unvermeidlich hohen Sterblichkeit ist die Erdbestattung der großen Menge verstorbener Lagerinsassen nicht durchführbar. Einerseits aus Mangel an Platz und Personal, andererseits wegen der Gefahr, die der näheren und weiteren Umgebung durch die Erdbestattung der vielfach an Infektionskrankheiten Verstorbenen unmittelbar und mittelbar droht. Es besteht daher der Zwang, die ständig anfallende Anzahl von Leichen durch Einäscherung schnell und hygienisch einwandfrei zu beseitigen. Dabei kann natürlich nicht nach den für das reichsdeutsche Gebiet geltenden gesetzlichen Bestimmungen verfahren werden. Es kann also nicht jeweilig nur eine Leiche eingeäschert... werden. Vielmehr müssen fortlaufend gleichzeitig mehrere Leichen gemeinsam eingeäschert werden.« Aus einem Fernschreiben vom 28. Januar 1943 vom Leiter der Zentralbauabteilung der Waffen-SS und Polizei Auschwitz an SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Dr. Ingenieur Kammler in Berlin-Lichterfelde geht hervor, dass die von der Firma Topf & Söhne fertig gestellten Öfen im Beisein des Oberingenieurs Prüfer aus Erfurt »angefeuert« wurden und »tadellos funktionierten«. Ein Bericht des Prüfingenieurs wurde beigelegt. Im März 1943 erfolgte die Einweihung des ersten Krematoriums in Auschwitz. Der Bericht darüber vermeldet: »Das Programm bestand aus der Vergasung und Verbrennung von 8000 (!) Juden aus Krakow. Die Gäste, Offiziere und Zivilisten, waren außerordentlich mit den Ergebnissen zufrieden, und das Guckloch war ständig besetzt. Diese Leute konnten die neue Anlage nicht genug loben.« Am 26. Juni 1943 war auch das dritte Krematorium fertig gestellt. Aus einer Rechnung vom 28. Juni geht hervor, dass die Leistung aller drei Krematorien bei 24-stündiger Arbeitszeit 4756 Personen betrug! Eine »Leistung«, die später noch um ein Vielfaches gesteigert wurde. Dem britischen Historiker Gerald Flemming, Autor des Buches »Hitler und die Endlösung«, sind die Erkenntnisse darüber zu verdanken, was später aus den »Ingenieuren des Todes« geworden ist. Flemming stieß bei Recherchen im Zentralen Staatsarchiv in Moskau auf ein Aktenbündel aus den frühen Nachkriegsjahren und fand darin eine Mappe mit der Signatur 17/9. Sie enthielt die Protokolle der Verhöre von Mitarbeitern der Firma Topf & Söhne: Kurt Prüfer, Fritz Sander, Karl Schultze. Bereits am 30. Mai 1945 war Prüfer von amerikanischen Geheimdienstoffizieren, die wussten, dass die Firma Topf & Söhne zahlreiche Konzentrationslager mit Verbrennungsöfen ausgestattet hatte, verhaftet worden. Einen Tag später beging der Geschäftsführer Ludwig Topf Selbstmord. Prüfer gab sich unschuldig und wurde am 13. Juni 1945 wieder aus der Haft entlassen. Auch nachdem in Erfurt die sowjetischen Streitkräfte einrückten, kam »der anpassungsfähige Ingenieur bald wieder ins Geschäft«. Im Auftrag der neuen Besatzungsmacht baute er für Arnstadt eine Müllverbrennungsanlage. Am 11. Oktober 1945 jedoch - Prüfer war gerade bei der Abnahme des Müllverbrennungsofens - erschien ein sowjetischer Unteroffizier in der Firma Topf & Söhne und erkundigte sich nach den »Auschwitz-Ingenieuren«. Der technische Leiter des Unternehmens hielt den Unteroffizier hin und informierte den zweiten Firmenchef Ernst Wolfgang Topf, der sich gerade in Stuttgart und Frankfurt (Main) aufhielt, um neue Geschäftsverbindungen zu knüpfen. Topf kehrte nicht nach Erfurt zurück. Erst am 4. März 1946 wurden Prüfer, Sander, Braun und Schultze festgenommen. Sander starb am 26. März 1946 an Herzversagen. Seine drei Kollegen wurden zu 25 Jahren Straflager verurteilt. Prüfer starb in der Haft, Braun und Schultze wurden 1955 aus sowjetischer Haft entlassen. Eine Ausstellung in Berlin erinnert jetzt erstmals ausführlich an das unselige Wirken dieses deutschen Unternehmens. Gestaltet wurde diese Dokumentation von den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Berlin und dem Museum Auschwitz. Ein Besuch der Exposition sei vor allem der jungen Generation geraten. Die Ausstellung »Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz« im Jüdischen Museum Berlin ist noch bis zum 18. September zu besuchen. Eintritt 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro; das Museum ist täglich von 10 bis 20 Uhr, montags 10 bis 22 Uhr geöffnet.
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