Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Die Bronzezeit begann in Mittelasien

Im heutigen Tadshikistan kamen Legierungsbestandteile gemeinsam vor Archäologen fanden dort die ältesten Zinnbergwerke

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Robert Lutz

Archäologen des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum, Archäometallurgen der TU Bergakademie Freiberg in Sachsen und des Max-Planck-Institutes für Kernphysik in Heidelberg sowie Wissenschaftler des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin haben gemeinsam mit usbekischen und Tadshikischen Kollegen das älteste Zinnabbaugebiet der Welt entdeckt. Schon vor 5000 Jahren wurde Zinnbronze aus Tadshikistan bis nach Troja und ins Zweistromland exportiert.

Es war im Frühjahr 1991, der Golfkrieg war gerade vorbei, der Irak international geächtet. Damals fuhren zwei Heidelberger Wissenschaftler von Amman nach Badgdad: der Geologe Dr. Joachim Lutz und der Archäologe Dr. Michael Müller-Karpe. Ihr Ziel war das irakische Nationalmuseum in Bagdad. Acht Wochen lang durften sie dort mit Erlaubnis der Regierung winzige Metallproben frühantiker Bronzefunde einsammeln. Insgesamt waren es 2500 Bronzeproben aus dem 3. Jahrtausend v.u.Z.

Hinter dem »Unternehmen Badgdad« stand ein Plan: Archäometallurgen und Physiker hatten die Absicht, die Muster frühantiker Bronzen aus dem Zweistromland und aus Troja zu vergleichen. Es ging um den »isotopischen und chemischen Fingerabdruck« der Bronzefunde beider Fundstellen. Damit bezeichnet man die für jede Lagerstätte typische Mischung chemischer Elemente und den Anteil der Atome des jeweiligen Elements mit abweichendem Atomgewicht (Isotope).

Das Ergebnis: Tatsächlich stimmen die Analysen der Funde aus Troja mit denen aus dem Zweistromland weitgehend überein. Der Freiberger Archäometallurge Prof. Ernst Pernicka schlußfolgert, daß Sumerer, Trojaner und Babylonier ihre Zinnbronze oder zumindest das Zinn von derselben Lagerstätte bezogen haben müssen. Wahrscheinlich erhielten auch die Hochkulturen im Industal von dieser noch unbekannten Lagerstätte ihr Zinn. Das wird noch untersucht. Die Ägypter bauten vor 5000 Jahren zwar riesige Pyramiden, doch Bronze kannten sie damals noch nicht. Am Nil begann der Siegeszug der Bronze erst 800 Jahre später.

Die Bronze - eine Legierung aus Kupfer und Zinn - war ein großer technischer Sprung vorwärts. Die Schmiede der frü-

hen Antike hatten erstmals ein Material, das dauerhafter als Kupfer war und fast die Härte weichen Stahls erreichte. Bronzegegenstände konnten außerdem im Gegensatz zu solchen aus Kupfer neu bearbeitet werden, wenn sie verbogen waren. Äxte, Beile, Schwerter und Speerspitzen aus dem neuen Werkstoff ließen sich au-ßerdem leicht schärfen. Anfangs allerdings waren Bronzegegenstände noch mehr Statussymbol der Reichen als Waffe und Werkzeug im Alltag.

Woher kam aber die Bronze, die vor fast 5000 Jahren in Kleinasien und im Nahen Osten die Spitze des technischen Fortschritts war? Woher vor allem kam das für die Legierung unverzichtbare Zinn? Im weiten Umfeld Mesopotamiens und Kleinasiens gibt es keine Zinnlagerstätten. Auch die europäischen Zinnlager in Südengland, in der Bretagne, in Spanien, Portugal und im Erzgebirge wurden im 3. Jahrtausend v.u.Z. noch nicht abgebaut.

Die Spur führte nach Nordafghanistan, wo Ende der 60er Jahre dieses Jahrhunderts der amerikanische Archäologe Carl C. Lamberg-Karlovsky den frühen Gebrauch von Zinn-Bronzen entdeckte.1985 bemerkte sein amerikanischer Kollege James D. Muhly, daß in Mesopotamien die Verwendung von Zinnbronze zeitlich mit der von Gold und Lapislazuli zusammen-

fällt. Auch dies wies in die gleiche Richtung, denn die Kombination der drei Rohstoffe findet man nur in Afghanistan, in Mittelasien und im Altaigebirge. Alle hatten aber die Forschungen des russischen Archäologen Boris Litvinskij übersehen, der schon 1950 von vorgeschichtlichen Zinnbergwerken in Mittelasien berichtet hatte. Die Montanarchäologen um Prof. Gerd Weisgerber vom Deutschen Bergbau-Museum in Bochum erfuhren 1994 während einer Archäologentagung in Tadshikistan erstmals vom Bergbaurevier Muschiston. Dort wurden noch in den 80er Jahren Kupfer und Zinn abgebaut. Muschiston weist eine Besonderheit auf, die es sonst nur noch in Chile gibt: Dort kommen Kupfer und Zinn im Erz in gro-ßen Lagerstätten gemeinsam vor, was diesen Ort für die Archäologie so vielversprechend macht.

Auf Zugspitzhöhe entdeckten die Bochumer Wissenschaftler tief im Berg, von einem modernen Stollen angeschnitten, einen kleinen etwa zehn Meter langen Nebenstollen, der sich zu einer frühgeschichtlichen Abbaukammer erweiterte. Dort fanden die Forscher auf einer Keramikscherbe einen Kienspanrest und einen 75 Zentimeter langen und 30 Zentimeter dicken Holzstempel, der die Kammerdecke abstützte. Er soll in einer künftigen Expedition geborgen werden und mit seinen Jahresringen etwas über sein Alter verraten. Eines hat schon die C-14 Analyse des Kienspanrestes gezeigt: Die »Taschenlampe« der antiken Knappen stammt aus der Zeit um 2400 v. u.Z. Das ist die Phase, in der in Mesopotamiem die Bronzezeit (2500 bis 2000 v.u.Z.) begann. Muschiston ist damit das bis jetzt älteste Zinnabbaugebiet der Welt.

Im benachbarten Staat Usbekistan entdeckten die Bochumer im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung unterstützten

Projektes ebenfalls Spuren frühantiken Zinnbergbaus. In einem von Baggern zerwühlten Bergbaugelände spürten sie bei Karnab vier prähistorische senkrecht in die Erde führende Schächte auf: Neben zahlreichen Steinschlägen aus Quarzit und Gneis fanden sie dort ebenfalls Spuren von Holzkohle, die eine Datierung um das Jahr 1200 v.u.Z. zuließ. Doch hoffen die Archäologen, dort noch älteres Material zu entdecken.

Weisgerber und Pernicka sind davon überzeugt, daß die einst kostbare Zinnbronze in Troja und in der sumerischen Königsstadt Ur aus den Minen Tadshikistans und Usbekistans kam und die Isotopenanalyse der Erzbrocken aus beiden Fundgebieten dies bestätigen wird. Das Isotopenlabör dafür wird zur Zeit aufgebaut.

Die Ergebnisse der Archäologen legen nahe, daß die Wiege der Zinnbronzetechnik in Mittelasien liegen dürfte. Die Entdeckung, daß Zinn und Kupfer ein neues Metall ergeben, war demnach nicht das Ergebnis jahrelanger Versuche frühgeschichtlicher Tüftler und Schmiede, sondern erwuchs aus einer Laune der Natur, die beide Erze gemeinsam in der Erde vorkommen läßt.

Erstaunlich bleibt die geographische Reichweite der Entdeckung aus den Bergen Mittelasiens. Immerhin sind es von Muschiston bis nach Troja gut 4000 Kilometer Luftlinie. Daß vor 5000 Jahren Karawanen mit Erzen oder Metallen solche Entfernungen überwinden konnten, war bis jetzt kaum vorstellbar. Die Bronze war bei den Abnehmern so gefragt wie heute das Erdöl. Ob die Bronze den vermutlich halbnomadischen Bergleuten ähnlichen Reichtum gebracht hat wie das Öl den Staaten am Persischen Golf, ist eine der vielen Fragen, die noch zu erforschen bleiben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.