Im Leipziger Waldstraßenviertel soll ein jüdisches Gemeindezentrum entstehen. Bornierte Klagen von Anwohnern standen dem Vorhaben seit drei Jahren entgegen. Jetzt ist der Weg für den Bau frei.
Der Abstand ist groß. Eine Wiese, ein paar Parkplätze und eine verlotterte Hecke liegen zwischen dem schick sanierten Eckhaus mit den gusseisernen Balkonbrüstungen und seinem Nachbargebäude, das sich mit seinem grau geschuppten Putz hinter hohen Bäumen zu verbergen scheint. Nur die goldenen Lettern über dem Eingang widersetzen sich dem Verfall: Dort ist »Ariowitsch-Haus« zu lesen.
In dem Gebäude, das die Familie Ariowitsch 1931 als jüdisches Altenheim errichtete und dessen Bewohner die Nazis im September 1942 nach Theresienstadt deportierten, will die Jüdische Gemeinde ein Begegnungszentrum einrichten. Im Vorderhaus, an dem zwei wulstige Erker eine Thorarolle symbolisieren, sowie im Gartenhaus sollen Räume für zahlreiche Sport- und Kulturvereine, Chöre und Tanzgruppen eingerichtet werden; in einem neuen, flachen Verbindungsgebäude soll ein Saal für 300 Menschen entstehen. Die zeitweilig stark dezimierte Gemeinde ist durch Zustrom aus der früheren Sowjetunion auf 1200 Mitglieder angewachsen und findet im jetzigen Gemeindehaus keinen Platz mehr: »Dort warten die Chormitglieder oft schon ungeduldig, dass der Schachklub endlich den Raum räumt«, sagt Gemeindevorstand Küf Kaufmann.
Doch obwohl bereits 2002 ein symbolischer Spatenstich für die Sanierung angesetzt war, bröckelte weiter der Putz. Grund waren Klagen von zunächst vier Nachbarn, die gegen die Baugenehmigung vorgingen. Moniert wurden eine angeblich steigende Verkehrsbelastung und der Verstoß gegen Bauvorschriften; die Rede war auch von Sicherheitsrisiken und einer befürchteter Wertminderung der Immobilien in dem gediegenen Wohnviertel. Die Argument seien aber »vorgeschoben«, glaubt Rolf Isaacson, langjähriger Gemeinde-Vorsteher: »Einige Leute wollen uns dort einfach nicht haben.«
Gestern beschäftigte sich erneut ein Gericht mit der letzten verbliebenen Klage. Nachdem Stadt und Gemeinde in einer ersten Instanz Recht bekommen hatten, aber eine Revision zugelassen wurde, waren nun die Richter des Bautzner Oberverwaltungsgerichtes nach Leipzig gekommen, um beim Ortstermin die Einwände des Klägers, eines Notars und Hauseigentümers, zu prüfen.
Nach heutigem Recht steht das Ariowitsch-Haus zu nahe an der Grundstücksgrenze. Strittig war auch, ob das Gemeindehaus zum Charakter des Viertels passt. Die Stadt hatte eine Ausnahmegenehmigung erteilt. »Leipzig braucht unbedingt ein jüdisches Gemeindezentrum, und zwar im Waldstraßenviertel«, sagt Heide Boysen-Tilly, Anwältin der Stadt: »Das ist der angestammte Sitz der Gemeinde.«
Die folgende juristische Debatte über Planungsrecht und Abstandsflächen sorgte im Gerichtssaal für Unmut und Unverständnis. Susanne Michaelis, Bewohnerin des Viertels, hält das Zentrum für dringend notwendig: »Wir freuen uns, dass die Gemeinde wächst«, sagt sie; das Zentrum sei »im öffentlichen Interesse«. Das beweise eine Unterschriftensammlung im Viertel, die 1500 Anwohner unterzeichneten. Die Klagegründe nannte Michaelis »blanke Heuchelei«. »Unsere Großeltern haben Juden umgebracht«, sagt sie. Diese »historische Dimension« müsse berücksichtigt werden.
Im Urteil, das nach zweistündigem Ortstermin gefällt wurde, spielte Geschichte keine Rolle. Jedoch bietet nach Ansicht der Richter auch das Baurecht keine Handhabe, um das Gemeindezentrum zu verhindern. Erteilte Auflagen böten genügend Schutz für die Belange des Nachbarn. Die Berufung wurde daher zurückgewiesen, eine Revision nicht zugelassen.
Bei Nachbarn und Gemeindevertretern sorgt die Entscheidung für Erleichterung. Mit dem Bau, für dessen Finanzierung neben Spenden und Eigenbeiträgen auch Fördergelder von Stadt und Land bereitstehen, werde noch im Herbst begonnen, erklärte Gemeindevorstand Kaufmann: »In zehn bis zwölf Monaten werden wir eröffnen.«