Aus der »Streusandbüchse«

Die 100. Ausstellung der Kunstsammlung Lausitz in Senftenberg präsentiert 100 Werke von 100 Künstlern

Verglichen mit der mächtigen Sogwirkung von »Elbflorenz« und »Spreeathen« bot die märkische »Streusandbüchse«, das Land zwischen Neiße und Elbe, Künstlern seit jeher wenig Anreiz, sich hier niederzulassen. Man kam aus der Lausitz - und ihr bedeutendster Maler ist der in Cottbus geborene Carl Blechen geblieben - und man ging in die Lausitz, wie der Hamburger Carl Lohse, der hier in aller Zurückgezogenheit aus dem Geist eines erneuerten Expressionismus wirkte und erst nach seinem Tode international entdeckt wurde. Auch der »akademische Naive« Fritz Tröger zog sich in den 30er Jahren in einer Art innerer Emigration aus Dresden nach Laske bei Kamenz zurück. Aber auch das Holzschnittwerk des Berliner Grafikers Herbert Tucholski greift immer wieder auf Lausitzer Motive zurück.
In den 5Oer/60er Jahren kamen Heinz Sieger, Günther Friedrich, Dieter Dreßler, Ernst Sauer oder Heinz Mamat direkt von der Dresdner Hochschule in die Lausitz. In dem Dorf Kotschka bei Elsterwerda fand Georgios Wlachopulos eine neue Heimat und erprobte hier ebenso eigenwillig neue grafische Möglichkeiten wie Dieter Zimmermann in einem Bauernhaus im Spreewald, in dem seine allerorts begehrten faszinierenden Bildwelten entstanden. Aus Bautzen in sein Geburtshaus in Nebelschütz umgezogen, arbeitet der sorbische Maler Jan Buck, der Nestor der Lausitzer Malerei, an den Grenzen zunehmend verfliegender Gegenständlichkeit, deren Reste Verwandlung und Verzauberung, Traum und Sehnsucht suggerieren. Das vielseitige Werk des Cottbuser Aktionskünstlers, Malers und Grafikers Hans Scheuerecker, heute Professor an der Dresdner Kunsthochschule, brachte in den 80er Jahren eine ganz neue bildhafte Formensprache in die Kunst der Region ein.
Und von dem nahe Mühlberg lebenden Künstlerehepaar E.R.N.A. und Paul Böckelmann, dem in Finsterwalde beheimateten Eckhard Böttger und natürlich der in Guben wie Dresden arbeitenden Sigrid Noack ist abermals ein neuer künstlerischer Aufbruch ausgegangen.
Seit 1985 besteht die »Kunstsammlung Lausitz« in Senftenberg, dem einstigen »Kohlenpott« der Lausitz, der eine zerstörte, nur mühselig wieder zu rekultivierende Landschaft geschaffen hat. Gerade hier kann die Kunst nicht nur Zeitgenossenschaft, eine ästhetische Gegenkraft zur Zerstörung sein, sondern sie vermag auch der Erfahrung dessen, was Wirklichkeit damals wie heute heißt, bereits Prägekraft für eine neue Gegenwart zu verleihen. Es gibt zwar keinen Lausitzer »Stil«, aber an der bildnerischen Formung der Landschaft und Wesensart, an der Physiognomik und Psyche der hier lebenden Menschen haben sich im entscheidenden Maße ganz unterschiedliche Künstler beteiligt. Das Bild, die Grafik, die Plastik ist die Reaktion auf die Wirklichkeit und bildet sie nicht einfach ab. Was die Senftenberger Sammlung von den Malern Günther Wendt und Gerhart Lampa vorbereitet und dann von dem Maler Bernd Gork ideenreich fortgeführt und erweitert, jetzt in ihrer 100. Ausstellung unter dem Titel »100 Werke der Malerei, Grafik und Plastik von 100 Künstlern« zu präsentieren vermag, ist schon erstaunlich und bewundernswert. Trotz knapper Mittel kann durch wohlüberlegten Einsatz von Spenden und Fördermitteln, aber auch durch veranlasste Schenkungen und Dauerleihgaben eine durchaus repräsentative
Bestandsaufnahme der Kunst in der Lausitz gegeben werden. Die jüngste Neuerwerbung ist das Gemälde »Gartenfest in Bargfeld« (1999) des in Bautzen geborenen Harald Metzkes, ein Geschenk des Künstlers. Allein von Metzkes besitzt die Sammlung, die heute einen Bestand von 2000 Werken zählt, 8 Gemälde und zahlreiche Druckgrafik.
Von der Birkenlandschaft (1896, Radierung) des aus Bautzen stammenden Jugendstilkünstlers Hans Unger bis zu »Vor dem Absprung« (2002, Kaltnadelradierung) des hier jüngsten Künstlers Hans-Georg Wagner werden Natur-, Stadt-, Dorf-Neusachliches, Symbolisches oder Allegorisches, konstruktive und konkrete Malerei, Informel und Op-Art vorgestellt. Mit seiner strengen pastosen Malerei bringt Theodor Rosenhauer die Körperwelt zu einem vibrierenden Schwingen. Es ist die Farbe, die hier Licht erzeugt. In dem Gemälde »Bischofswerda im
Winter« (1950/68) hat er die Farbhaut weitgehend auf die Skala von Grau, Weiß und Braun reduziert, die Skala der Mauern, Dächer und Gegenstände, in der nur da und dort die städtischen Tünchfarben aufleuchten, das Grau-Blau des Himmels und das Braun-Ocker der Erde. Dagegen ist Fritz Trögers Aquarell »Rosenthal« (1944) akkurat neusachlich gezeichnet, sensibel ausgetuscht die Häuserfassaden - doch welche Stimmung schlägt uns hier entgegen! Auch Herbert Tucholski zeichnet vor dem Motiv, wie in dem Holzschnitt »Spreewald«, aber von vornherein mit der Vorstellung einer Synthese, in der sich der Ausdruck des Lichts mit dem greifbaren, in festen Raumbeziehungen eingeordneten Formkörper verbindet. In dem Aquarell »Nebelschütz bei Kamenz« (um 1945) des Farbtektonikers Albert Wigand sind Farbe und Farbordnung wichtiger als linear oder plastisch bestimmte Form - und jedes erzählerische Element bleibt ausgespart. Dazu gesellen sich die Arbeiten weiterer Altersgefährten, der Oberlausitzer Marianne Britze, Alfred Herzog, Gustav Alfred Müller und Gerhard Benzig, des Sorben Otto Garten, des Senftenberger Künstlerpaares Margo und Günther Wendt und des im Alter in Finsterwalde ansässig gewordenen Aquarellisten Rudolf Bax.
In die Lausitz mit ihrer sorbischen Tradition gehören auch die naiven Maler. Der bekannteste, der 1985 in Niederoderwitz verstorbene Max Langer ist mit einer Hinterglasmalerei »Mutter Natur« (1973) vertreten (siehe Abbildung). Es fehlt aber der sorbische »Volksmaler« Martin Neumann-Nechern, der so zauberhafte Holzschnitte von Monatsbildern und Bauernregeln geschaffen hat. In die Kunstgeschichte der jüngeren Moderne sind auch Lausitzer Orte eingegangen: Der Maler Georg Kern, weltbekannt als Georg Baselitz, hat sich ebenso den Namen seines Heimatortes zugelegt wie der sich Traumlandschaften erfindende Jürgen Böttcher-Strawalde. Der im Spreewald aufgewachsene, in Berlin lebende Dietrich Schade nennt sich Lusici und ist ebenso präsent. Ganz unterschiedliche plastische Formvorstellungen und Betrachtungsweisen bringen Ernst Sauer (»Athletischer Torso«, 1982, Bronze), Siegfried Schreiber (»Luftmatratze II«, 1984, Bronze), beide 1988 verstorben, Horst Weiße (»Mann mit Buch«, 1985, Serpentinstein), Solveigh Bolduan (»Stehender Akt«, 1990, Holz, bemalt, Federn), Heinz Mamat (»Ruhende«, 1991, Quarzit) ein. Jürgen von Woyski hat in einer Porträtplastik an die bis zu ihrem Tode 1964 in Cottbus lebende Corinth-Schülerin Elisabeth Wolf erinnert, die mit dem Gemälde »Spreewälderin« (1937) vertreten ist. Ob Carl Lohses »Empfindungsleben« (1920, Öl/Pappe), Günther Friedrichs »Gewichte« (1986, Öl/Leinwand), Jan Bucks »Tagebau II« (1988, Öl/Leinwand), Wulff Sailers »Spreewälder Bauernhof« (1989, Öl/Zeichenkarton), Eckhard Böttgers »Ohne Kopf, ohne Fuß« (2001, Öl/Leinwand), E.R.N.A.s »...Über meine Wut« (1989, Öl/Hartfaser) oder Dieter Zimmermanns Glasmalerei »Dorffest, Zampern, Treibjagd, Hochzeit, Maibaum, Hexenfeuer« (1987) - das Bild soll stets unmittelbar aus der Malerei heraus sprechen, jede Form, jeder Pinselstrich authentisch und glaubwürdig auftreten. Jeder Künstler ging seinen eigenen Weg, blieb seiner eigenen Persönlichkeit, seinem eigenen Temperament treu.

Die sehenswerte Ausstellung im Museum Senftenberg mit Galerie am Schloss ist bis 11. Septembe...

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