Das ausgefallene »Länderspiel«

Warum es bis zur Vereinigung der beiden deutschen Fußball-Verbände keinen Ost-West-Vergleich mehr gab

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Diese DDR-Bilanz wird ewig positiv bleiben. Das einzige innerdeutsche A-Länderspiel haben die Ostfußballer gewonnen. 1:0 bei der WM 1974 in der Bundesrepublik. Flugball Erich Hamann, Annahme Jürgen Sparwasser, Schuss, Tor. Die Chance zur Revanche kam nie wieder, obwohl es mehrere Optionen gab.
Vor dem Herbst 1989 wiegelten die Funktionäre des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) der DDR westliche Annäherungsversuche dieser Art ab. Durch konsequentes Fernbleiben bei WM- und EM-Endrunden ging die DDR-Elite dem stärkeren Klassenfeind taktisch klug aus dem Weg. Selbst bei den Auslosungen zu den Qualifikationsgruppen für WM- und EM schien die Paarung Ost- kontra Westdeutschland 15 Jahre lang auf dem Index zu stehen. Und als vor der EM 1992 doch der große Klassenkampf drohte, kam die politische Wende in Deutschland dazwischen.
Die Wende verhalf der höchsten Spielklasse im Osten, der DDR-Oberliga, auf den ersten Blick zu neuem Glanz. Etliche Teams liefen bald mit Adidas-Spielkleidung auf, in den Stadien gab es »Westwerbung« und Bier. Der DFV und sein großer Bruder aus dem Westen, der Deutsche Fußball-Bund (DFB), näherten sich bei Zusammenkünften an. Im Januar 1990 vereinbarten beide Seiten einen freundschaftlichen Vergleich im selben Jahr.
Nur einen Monat später war dieser Termin praktisch hinfällig. Ost- und Westdeutschland wurden in Stockholm gemeinsam in Qualifikationsgruppe 5 zur EM 1992 in Schweden gelost. Die Partien sollten im November 1990 und im Dezember 1991 stattfinden, vom geplanten Freundschaftsspiel nahmen beide Verbände im März 1990 Abstand.
Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die Funktionäre ihre Entscheidungen revidieren mussten. Die mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 einhergehende Ausblutung des Ostens machte keinen Halt vor dem Fußball. Starke Spieler wie Andreas Thom, Ulf Kirsten oder Matthias Sammer liefen längst für finanzkräftigere Westvereine auf.
Um dem Ostfußball eine halbwegs vernünftige Basis zu belassen, wurde die Vereinigung beider Verbände vom Frühjahr 1992 auf November 1990 vorgezogen. Schon im September 1990 wurde daher die DDR-Nationalmannschaft aus der EM-Qualifikation zurückgezogen. Das Länderspiel in Leipzig am 21. November wurde kurzerhand zum Fußballfest zwischen einer DFV-Auswahl und Spielern der Weltmeisterelf von 1990 umdeklariert. Die Kader beider Teams enthalten klangvolle Namen (siehe links). Doch am 13. November 1990 wurde die Partie vom DFV-Präsidium nach einer Empfehlung des sächsischen Innenministers Dr. Rudolf Krause abgesagt. Grund: Der schlechte bauliche Zustand des Zentralstadions und zu hohe Sicherheitsrisiken.
Hauptursache waren Zusammenstöße zwischen Polizisten und Fußballfans vor, während und nach der Oberligapartie FC Sachsen Leipzig und FC Berlin (1:4), dem zwischenzeitlichen Nachfolger des BFC Dynamo. Bei den Krawallen wurde der 18-jährige Berliner Mike Polley von der überforderten und in die Enge getriebenen Polizei erschossen.
In der beinahe gesetzfreien Zeit der Wende ging danach die Angst vor Hooligans um. Bis zur Absage wurden Tausende bereits verkaufte Tickets wieder zurückgegeben. Den Verbänden blieb nichts weiter übrig, als ihren »Vereinigungsparteitag« ohne ein Spiel zu vollführen. Damit war die letzte Chance zur Revanche für die BRD-Elf dahin.

Sie hätten in Leipzig gespielt
DFV-Auswahl,
Tor: Adler (HFC Chemie), Bräutigam (Jena), Schmidt (Chemnitzer FC) - Abwehr: Böger, Peschke (beide Jena), Kracht (Lok Leipzig), Schößler, Wagenhaus (beide Dresden) - Mittelfeld: Bonan (FC Berlin), Sammer (Stuttgart), Scholz, Stübner (beide Dresden), Schwanke (Cottbus), Wosz (HFC Chemie) - Angriff: Doll (Hamburger SV), Kirsten, Thom (beide Leverkusen), Rösler (Magdeburg).
DFB-Auswahl, Tor: Aumann (München), Illgner (Köln) - Abwehr: Berthold (AS Rom), Binz (Frankfurt), Brehme (Inter Mailand), Buchwald (Stuttgart), Helmer (Dortmund), Kohler, Reuter (beide München) - Mittelfeld: Bein, Möller (beide Frankfurt), Eilts (Bremen), Häßler (Juventus Turin), Matthäus (Inter Mailand), Reinhardt (Leverkusen), Strunz (München), Zorc (Dortmund) - Angriff: Klinsmann (Inter Mailand), Riedle (Lazio Rom), Völler (AS Rom).


Weg zur Kicker-Einheit
9.11.1989:
In Berlin fällt die Mauer.
1.12.1989: Erste Gespräche zwischen DFV und DFB auf der Basis zweier selbstständiger Verbände.
1.1.1990: Stürmer Andreas Thom wechselt als erster Ostfußballler in den Westen, vom BFC Dynamo zu Bayer Leverkusen.
10.1.1990: Terminierung eines Spiels DDR gegen BRD am 29.8.1990.
2.2.1990: DDR und BRD kommen in Stockholm in dieselbe Qualifikationsgruppe für die EM 1992.
15.3.1990: In Frankfurt (Main) werden die innerdeutschen EM-Qualifikationsspiele für den 21.11.1990 (in Leipzig) und den 21.12.1991 vereinbart. Das ursprünglich geplante Testspiel wird abgesagt.
31.3.1990: DFV-Verbandstag in Strausberg bei Berlin. Hans-Georg Moldenhauer wird DFV-Präsident.
19.5.1990: Vor dem DFB-Pokalfinale in Westberlin einigen sich DFV und DFB, die Vereinigung beider Verbände im Frühjahr 1992 durchzuführen.
12.9.1990: Die DDR gewinnt ihr letztes Länderspiel in Belgien mit 2:0.
19.9.1990: In Frankfurt (Main) beschließen DFB und DFV die Aufnahme von zwei DDR-Klubs in die 1. Bundesliga zur Saison 1991/92, sechs Ostvereine sollen in die 2. Bundesliga eingegliedert werden. Die DDR-Nationalmannschaft und die U-21-Auswahl werden aus den internationalen Wettbewerben zurückgezogen.
20.11.1990: In Leipzig löst sich der DFV auf, anschließend findet die Gründung des Regionalverbandes Ost statt.
21.11.1990: Auf dem Außerordentlichen Bundestag des DFB in Leipzig tritt der Regionalverband Nordost, der heutige NOFV, dem DFB bei.
19.12.1990: Beim 4:0 über die Schweiz tragen Matthias Sammer und Andreas Thom als erste DFV-Spieler das Trikot des DFB. Thom gelingt...

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