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Nordallianz eroberte Taleban-Festung
Bush gegen Einnahme Kabuls/Bin Laden droht mit chemischen und atomaren Waffen
George Bush hat sich gegen die Einnahme Kabuls durch die Nordallianz ausgesprochen. Es sei wichtig, dass Afghanistans Hauptstadt offen bleibe für alle politischen Kräfte, die an einer Stabilisierung der Lage mitwirken wollen, so der USA-Präsident am Wochenende nach Einnahme von Mazar-e-Sharif, der nördlichsten Festung der Taleban.
Nach tagelangen schweren US-amerikanischen Bombardements verwunderte es nicht, dass die Nordallianz kaum noch auf Widerstand stieß und die Stadt in anderthalb Stunden eingenommen hatte. General Rashid Dostum bestätigte noch zweifelnden Reportern über Telefon, dass er in Mazar-e-Sharif sei und seine Truppen auch die Kontrolle über den Flughafen hätten. Stunden später gab das Oberkommando der Taleban die Niederlage zu: Man habe einen taktischen Rückzug angetreten, um die eigenen Kämpfer und Zivilisten zu schonen, Kriegsgerät zu retten und eine Gegenoffensive vorzubereiten. Inzwischen konstatierte der Außenminister der Nordallianz/ Vereinte Front, Dr. Abdullah Abdullah, im gesamten Norden seien die Rückzugswege des Feindes blockiert. Nicht nur Mazar-e-Sharif, sondern auch die Provinzen Samangan, Sar-e-Pol, Jozjan und Faryab sollen sich unter Kontrolle der Nordallianz befinden. Das eröffnet die Möglichkeit, schon bald mit Ismail Khan, dem Rebellenkommandeur von Herat, gemeinsam weiter nach Süden vorzustoßen. Das ist die erste sichtbare Niederlage der Taleban und ihrer arabischen Komplizen - was weitreichende Konsequenzen hat. Die strategisch wichtige Stadt liegt nur 35 km von der usbekischen Grenze entfernt auf einer Ost-West-Achse, und von hier führt die einzige Hauptstraße gen Süden bis in die Hauptstadt Kabul. Die Verbindungswege der Taleban sind nun unterbrochen. Der größte Flughafen im Norden steht der Allianz und wahrscheinlich auch den USA zur Verfügung. Aus Usbekistan kann kurzfristig jede Art von Nachschub organisiert werden. Seit Wochen lagern dort im Grenzort Termez internationale Organisationen ihre Hilfsgüter für die Not leidende Bevölkerung. Die neue Situation »könnte einen Korridor für die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen öffnen, der über Mazar-e-Sharif bis nach Zentralafghanistan reicht, wo es bereits zu schneien begonnen hat«, so Mostapha Zahir, der politisch ehrgeizige Enkel des afghanischen Ex-Königs Zahir Shah. Denkbar ist auch, dass die 1000 im usbekischen Khanabad stationierten US-Soldaten nach Mazar-e-Sharif verlegt werden und die Stadt somit zur vorläufigen Hauptbasis des Pentagon in Afghanistan wird. Der Nordallianz verleiht dieser Erfolg einen enormen moralischen Auftrieb. Sie sieht sich in ihrer Entscheidung bestätigt, trotz Drängen des Pentagon erst nach intensiven US-amerikanischen Bombardierungen anzugreifen. So verhinderte man, dass eigene Soldaten als Kanonenfutter geopfert wurden. An anderen Frontabschnitten stärkt das die Kampfbereitschaft der Nordallianz-Truppen. Der erste große Sieg macht auch jenen Teilen in der Bevölkerung - meist nichtpaschtunische Minderheiten - Mut, die die Taleban als fremde Besatzer erlebten. Ob der Vormarsch im Norden die Bildung einer alternativen Regierung auf breiter ethnischer Basis beschleunigt, bleibt aber abzuwarten. Denn die in diesem Zusammenhang gemachten Bemerkungen von Bush und Pakistans Präsident Mushrraf in New York veranlassen nicht gerade zu Optimismus. Beide empfahlen, die Nordallianz sollte Kabul nicht einnehmen, sondern weiter nach Süden vorstoßen, »um Afghanistans Stabilität zu wahren«. General Musharraf verwies auf die schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit, als es nach dem Abzug der Sowjettruppen bei den Machtkämpfen zwischen den Mudjahedin-Fraktionen zu Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung Kabuls gekommen war. Ähnliche Aufmerksamkeit wie der Machtwechsel in Mazar-e-Sharif erregte Osama bin Ladens erstes Interview nach dem 11. September. Er sprach mit dem pakistanischen Journalisten Hamid Mir, der das Gespräch in der englischsprachigen Tageszeitung »Dawn« und der urdusprachigen Zeitung »Ausaf« veröffentlichte. Einen Schock im Westen löste bin Ladens Erklärung aus: »Wir haben chemische und nukleare Waffen als Abschreckung, und wenn Amerika sie gegen uns anwendet, behalten wir uns das Recht vor, sie anzuwenden.« Als der Journalist wissen wollte, woher diese Waffen stammen, entgegnete bin Laden nur: »Stellen Sie die nächste Frage.« Aus Washington war zu hören, dass man solche Erklärungen ernst nehme. Bin Laden behauptete, er führe einen »defensiven Jihad« (Heiliger Krieg). Wenn die Muslime nicht in Sicherheit leben dürften, würden auch die Amerikaner keine Sicherheit finden. Die USA und ihre Verbündeten würden Muslime in Palästina, Tschetschenien, Kaschmir und Irak massakrieren. Deshalb hätten diese das Recht, als Vergeltung Amerika anzugreifen. Auf die Frage, ob er sich in einem muslimischen Land vor Gericht stellen würde, wenn die USA ihre Truppen aus Saudi-Arabien abzögen und die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem »befreit« sei, antwortete bin Laden: »Nur Afghanistan ist ein islamisches Land. Pakistan folgt der englischen Rechtsprechung. Saudi-Arabien betrachte ich nicht als islamischen Staat. Wenn die Amerikaner Anklagen gegen mich haben, dann haben wir auch eine Anklageschrift gegen sie.« Hamid Mir waren in Kabul die Augen verbunden und noch eine Decke um den Kopf geschlungen worden, ehe er eine etwa fünfstündige Fahrt im Jeep zur Residenz des vermutlichen Al-Qaida-Chefs antrat. Der empfing ihn offensichtlich bei bester Gesundheit in Begleitung von einem Dutzend Leibwächtern nicht in einer Höhle, sondern in einem Haus in einer extrem kalten Gegend. Fragen zur Person und zu seiner Familie - ob er tatsächlich an einer Nierenerkrankung leide und ob er eine Tochter des Taleban-Führers Mullah Mohammed Omar geheiratet h...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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