»Für die Zukunft unserer Kinder«
Zehntausende demonstrierten in Portugal gegen die Sparpolitik
Der Zulauf für die Gewerkschaften in Portugal wächst sichtbar: Erstmals in der Landesgeschichte schaffte es die kommunistisch dominierte CGTP. den großen Platz »Terreiro do Paço« in Lissabon zu füllen.
Derart ermutigt kündigte Gewerkschaftschef Arménio Carlos an, das Datum des Generalstreiks werde nach der Versammlung am 3. Oktober bekanntgegeben. Dann setzen sich alle Gewerkschaften zusammen, um den wohl größten Generalstreik zu organisieren. »Wir wollen eine breite einigende Aktion«, sagte Carlos den versammelten Pressevertretern. Dann wird auch die kleinere UGT streiken, die sich im März nicht beteiligt hatte. Der Sinneswandel in der UGT, welche der Arbeitsmarktreform zugestimmt hatte, kommt nicht von ungefähr: Sie erwartet neue massive Einschnitte mit dem Haushalt 2013.
Carlos drohte der konservativen Regierung von Pedro Passo Coelho vor Hunderttausenden auf dem Platz deutlich. Nun sei der Moment gekommen, wo sie »das Volk hören« müsse. »Entweder die Regierung hört freiwillig zu oder wir werden sie dazu zwingen.« Er spielte auf die Nelkenrevolution 1974 an, als linke Militärs friedlich die Diktatur stürzten, weshalb er sich eine rote Nelke ins Knopfloch seines Hemdes gesteckt hatte. »Man muss einer Regierung ein Ende bereiten, bevor die dem Land ein Ende bereitet.«
Seinen Worten stimmte die Bewegung der Empörten zu, die sich dem Protest angeschlossen hatte. Sie hatte über die sozialen Netzwerke im Internet vor zwei Wochen spontan gegen die Sparpolitik die bisher größten Proteste seit 1974 organisiert. Auch sie fordert den Rücktritt Coelhos. Die Proteste müssten sich »radikalisieren«, denn Coelho sei nur eine Marionette der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF). Diese »bläht eine soziale Blase auf, die kurz vor dem Platzen« sei. Ohne sich um die sozialen Belange der Bevölkerung zu scheren, »sind ihnen alle Mittel recht, um Banker und Reiche noch reicher zu machen«, meinen die Empörten.
Der Protest ist spürbar breiter geworden und signalisiert eine sich entwickelnde revolutionäre Stimmung. Auch Gewerkschaften von drei Polizeieinheiten nahmen an den Protesten teil. Militärs machen ihren Unmut sehr deutlich. Der Offiziersverband stellte heraus, dass man sich, »wie es uns die Verfassung vorschreibt, niemals als Repressionsinstrument gegen unsere Mitbürger« instrumentalisieren lasse. Man habe »geschworen, sie zu verteidigen«.
Oberst Manuel Martins Pereira, der die Erklärung unterzeichnet hat, steht damit nicht allein. Er erinnert an die Aussagen, mit der auch der Generalstabschefs kürzlich die Regierung auf die Aufgaben der portugiesischen Militärs hingewiesen hatte. Und er klagt die »gebrochenen Versprechungen« der Regierung an, die ihre Politik als »alternativlos« darstellt, die Bevölkerung »betrügt« und immer die gleichen zur Kasse bittet, »während hier und an anderswo von anderen grenzenlose Reichtümer angehäuft werden«. Darin ist sich der Oberst mit dem Gewerkschaftschef einig, der fordert, endlich die großen Einkommen zu besteuern. Den Regierungsvorschlag, den Anteil der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung von 11 auf 18 Prozent zu steigern, um den Arbeitgeberanteil zu senken, lehnt er ab.
»Wir werden nicht aufhören, für die Zukunft unserer Kinder zu kämpfen«, schreit Carlos ins Mikrofon und spricht der 54-jährigen Beamtin Maria aus der Seele. Sie ist gekommen, um die »Zukunft ihrer Kinder und Enkel« zu verteidigen. »Während dieses Land untergeht, hören die Politiker nicht auf, die Arbeiter zu berauben.« Den Kapitalisten gehe es derweil »prächtig«, sagt sie.
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