Blumen in Babylon
Ausstellung »Hungry City« im Kunstraum Kreuzberg thematisiert das Ländliche in der Kunst
Genüsslich wühlt das rosafarbene Ferkel im Waldboden, auf dem Rücken trägt es Flügel in Eichenblattform. »Ich bin ein lebendiges Kunstwerk«, hört man eine Stimme aus dem Off. Das Video, in dem man die kleinen Eichelschweine bei der Futtersuche und später bei einem Wettrennen beobachten kann, ist Teil eines Land-Art-Projekts der Künstlerin Insa Winkler - und führt direkt ins Thema der Ausstellung »Hungry City« im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien.
Denn die netten Eichelschwein-Szenen stellt Winkler in einem Buch der sonst üblichen Massentierhaltung gegenüber. Jährlich werden in Deutschland 80 Millionen Schweine geschlachtet, die zu 99 Prozent unsichtbar bleiben. Um heutige Landwirtschaft und darum, wie diese in der zeitgenössischen Kunst dargestellt wird, geht es in der Gruppenschau »Hungry City«. Der Titel ist dem gleichnamigen Bestseller der britischen Architektin Carolyn Steel entlehnt, in welchem am Beispiel von London verdeutlicht wird, wie die Qualität städtischer Lebensmittel von der Entwicklung der umliegenden ländlichen Gegenden abhängt.
Mit 19 Positionen internationaler Künstler von 1960 bis heute will die Ausstellung verdeutlichen, wie sich die Darstellung des Ländlichen verändert hat. Denn einerseits leben immer mehr Menschen in Städten und kennen Nahrungsmittel nur noch aus dem Supermarkt, andererseits gibt es den Trend zum Gärtnern und Einkochen, der Magazinen wie »Landlust« steigende Auflagen beschert.
Doch der Traum von der Rückkehr zum Ursprünglichen ist eher theoretisch. Nach wie vor stammt der Hauptteil der Lebensmittel aus Massenproduktionen oder wird mittel ausgeklügelter Infrastruktur aus irrwitziger Entfernung antransportiert. Jekaterina Anzupowa verdeutlich dies in ihrem Blog »Erdbeerjoghurt 150 g«, einer Beschreibung der Reisen, mit denen die Künstlerin die langen Transportwege der Zutaten nachvollzog und die sie durch die halbe Welt führten. True Greenforts Plakate präsentieren drei Höfe in Polen, Litauen und Kuba als reine Spekulationsobjekte, während KP Brehmers Tuschezeichnung »Der Westen hat die größten Schweine« ironisch den Wert des Tiers in Geld spiegelt.
Dass sich bereits vor 40 Jahren Künstler aktiv mit landwirtschaftlichen Projekten auseinandersetzten, zeigen die Wandinstallation und das Video der amerikanischen Landschaftsplanerin und Performancekünstlerin Bonnie Ora Sherk, die 1974 eine Gemeinschaftsfarm unter einem Autobahnkreuz in San Francisco aufbaute, oder das Projekt von Agnes Denes, die 1982 für ihr Environmental-Art-Projekt mitten in Manhattan ein zwei Hektar großes Weizenfeld anlegte. Die Fotos von den wogenden Weizenfeldern mit der New Yorker Skyline im Hintergrund verblüffen und wirken wie am Computer entworfen.
Auch die Bauern selbst kommen in der Schau zu Wort. Zum Beispiel beim Langzeitprojekt von Antje Schiffers und Thomas Sprenger, die seit 2000 Bilder von Höfen in Rumänien, England, Österreich, Mazedonien und anderswo malen und gegen Kurzfilme tauschen, in denen die Landwirte sich und ihre Arbeit darstellen. Ihr 24-teiliges Videoarchiv mit dem Titel »Ich bin gerne Bauer und will es auch gerne bleiben« ist ebenso einsehbar wie einige der Gemälde, in denen in impressionistischer Manier ruhige Dorfstraßen im Sommerlicht brüten oder ein Stapel alter Autoreifen im Schnee liegt; in Fotos und Berichten erzählen die Künstler außerdem, wie sie in den Familien aufgenommen wurden.
Wie es den Milchbauern in Ungarn und Kroatien ergeht, wollte Kristina Leko herausfinden und besuchte dazu zwischen 2001 und 2003 je fünf Höfe in den beiden Ländern. Das Ergebnis sind zehn unterhaltsame Kurzfilme, in denen die Familien von ihrem Alltag erzählen und den Wert ihrer Arbeit im kapitalistischen und kommunistischen System vergleichen. Trachten und Fotos vervollständigen die Porträts.
Um Traktoren geht es bei Lukasz Skapski: In zwei parallel zueinander laufenden Filmen lässt er Konstrukteure und Bauern von ihren Maschinen erzählen. Dazu passt das Video der argentinischen Künstlerin Leticia El Halli Obeid, welches die Geschichte dreier Brüder nachvollzieht, die Erntemaschinen mit Eigenantrieb erfanden und mit der Idee eine große Firma gründeten. Im Gegensatz dazu erzählt Fernando Garcia-Dorys Wandinstallation in Fotos, Gemälden und Objekten von einem Mann, der eine Schäfer-Schule gründete und wie in alten Zeiten mit Hund und Herde durch die Landschaft zieht - ganz ohne Maschinen.
Die gut gemachte Schau, für die man sich genug Zeit mitbringen sollte, wird ergänzt durch ein breites Rahmenprogramm, das sich mit dem Umgang mit Nahrungsmitteln und mit Urban-Gardening-Projekten wie den Prinzessinnengärten auseinandersetzt.
Bis 28. Oktober, geöffnet täglich 12-19 Uhr; Kunstraum Kreuzberg, Mariannenplatz 2, Kreuzberg. Begleitprogramm unter www.kunstraumkreuzberg.de
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