OB-Wahl in Stuttgart 21
Gastkolumne von Werner Sauerborn
Sieht so aus, als würde es an diesem Sonntag im Südwesten erneut zu erdrutschartigen Verschiebungen der politischen Landschaft kommen. Nachdem mit der Abwahl von Stefan Mappus im März 2011 die CDU-Ära auf Landesebene in einem Strudel von Filz und Betrug endete, steht nun Ähnliches in der Landeshauptstadt bevor. Und wieder spielt der Konflikt um Stuttgart 21 eine entscheidende Rolle. Aus nachvollziehbaren Gründen kandidiert der jetzige Amtsinhaber Wolfgang Schuster (CDU) nicht mehr. Er war es, der ständig das hohe Lied auf S 21 sang und gleichzeitig von Beginn seiner achtjährigen Amtszeit an kritische Informationen und insbesondere alle Anläufe zu frühzeitiger Bürgerbeteiligung torpedierte.
Um nicht zu sehr mit alledem identifiziert zu werden, schickt die CDU, und mit ihr FDP und Freie Wähler, nun Sebastian Turner ins Rennen, Multimillionär und langjähriger Teilhaber der Werbeagentur Scholz&Friends. Sein Versuch, sich als bürgernaher Versöhner zu inszenieren, scheiterte schon früh, als herauskam, dass S 21-Lobbyisten verdeckt seinen Wahlkampf finanzierten. Dazu die »Gewerkschafter gegen S 21« in einer Plakatkampagne: »Turner: ich verkaufe alles - auch Stuttgart«.
Inzwischen dürfte Turner ausgemogelt haben. Schon in den Prognosen zum ersten Wahlgang liegt Grünen-Kandidat Fritz Kuhn deutlich vor ihm. Die ebenfalls parteilose Kandidatin der SPD, Bettina Wilhelm, wird wohl für das Finale im zweiten Wahlgang am 21. Oktober keine Rolle spielen. Sie verharrte im Schatten der in Stuttgart betonharten SPD (neudeutsch »Infrastrukturpartei«). Ihr Versuch, mit sozialen Themen zu punkten und gleichzeitig zu S 21 zu schweigen, das alle Mittel für Bildung und Soziales absorbiert, ist unglaubwürdig.
Und dann gibt es da noch Hannes Rockenbauch, den langjährigen Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S 21. Während Fritz Kuhn S 21 weiterhin »nicht für sinnvoll« hält, es nach der Volksabstimmung vor einem Jahr aber »kritisch begleiten« will, kündigt Rockenbauch (Slogan »HANNES KANNES«), der zwischen 12 und 17 Prozent taxiert wird, an, S 21 mit allen ihm möglichen Mitteln stoppen.
Und da gibt es einiges. Entscheidende Eckpfeiler des Projekts, die Geschäftsgrundlage der Volksabstimmung waren, sind längst eingebrochen: Die hoch und heilig versprochene Kostengrenze von 4,5 Milliarden Euro ist, wie die Nachforderungen der Bahn belegen, längst gerissen. BER lässt grüßen. Die Behauptung, S 21 sei um 30 Prozent leistungsfähiger als der bestehende Kopfbahnhof, hat sich als dreiste Manipulation der Bahn erwiesen. Bahninterne Unterlagen beweisen: Es ist ein Rückbau der Kapazitäten geplant. Und: Keine der in der so genannten Geissler-Schlichtung zugesagten Verbesserungen wurde umgesetzt (keine Baumfällungen, Barrierefreiheit, Tunnelsicherheit ...). Die Bahn ignoriert ihre Zusagen.
Kein Wunder, dass inzwischen wieder jeden Montag bis zu 3000 Bürger demonstrieren. Tendenz steigend, wenn die Bahn weiter so von Panne zu Panne stolpert wie am letzten Samstag, als wegen der Umbauarbeiten erneut ein IC im Stuttgarter Bahnhof entgleiste, mit etlichen Verletzten und ärgerlichen Folgen für Tausende Bahnkunden.
Spätestens im zweiten Wahlgang wird wohl der S 21-Kritiker Fritz Kuhn OB in Stuttgart. Ob und wann S 21 dann gestoppt wird, hängt stark vom Abschneiden von Hannes Rockenbauch ab - und natürlich vom breiten Widerstand gegen das Projekt. Aber auf den ist Verlass.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.