Republik der Kälte

Deutscher Buchpreis an Ursula Krechel

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Deutsche Buchpreis in Frankfurt am Main ging am Montag an die einzige Frau im Sextett der Finalisten. Und gewonnen hat mit Ursula Krechel die Autorin eines Romans, der zürnend, enttäuscht, bitter klagend in die Geschichte stieg. Bundesdeutsche Geschichte.

Der Preisträger von 2011, Eugen Ruge, hatte mit seinem Roman »In Zeiten des abnehmenden Lichts« eine ostdeutsche Generationengeschichte geschrieben - einen Roman über die redlichen Kämpfe und Hoffnungen der Kommunisten, über die bitteren Entgleisungen der Nomenklatura und über die verzweifelten Befreiungsversuche einer illusionslos gewordenen Jugend aus den Umklammerungen des sozialistischen Kollektivismus. Nun quasi erfolgte mit Krechels Auszeichnung der ausgleichende Verweis auf westliche Verwerfungen. Der Roman »Landgericht« trifft ein unerbittliches Urteil über die arrogante Frostigkeit, mit der die aufstrebende Wirtschaftswunderrepublik-West ihre Exilanten, ihre von Hitler Vertriebenen empfing. Sie empfing? Sie ein weiteres Mal exilierte - was wahrlich klingt wie: exekutierte …

Die 64-jährige Schriftstellerin, in Trier geboren, ist promovierte Germanistin und gelernte Journalistin. Das fiktiv Erzählende verband sie bereits in ihrem Roman »Shanghai fern von wo« auf konsequent eigene Weise, und dies Eigene besteht in einer leidenschaftlichen Anwaltschaft für ungerecht Behandelte - eine Anwaltschaft, bei der die Autorin dem Gericht näher sein will als jeder verführerischen Beschaulichkeit. Das färbt noch ausschwingendste Fantasie-Töne gleichsam juristisch ein. Sie schreibt in dringlicher Nähe zu Schranken eines Gerichts, dessen Anklägerin sie ist.

Ab 1972 lebte Ursula Krechel als Schriftstellerin in Frankfurt am Main. Begonnen hat sie ihre Laufbahn mit Lyrik, die Kritik fand schnell Schlagworte für ihren dichterischen Standort: Frauenbewegung, neue Subjektivität, Surrealismus. »Vom Feuer lernen« hieß einer ihrer Gedichtbände, das Romantische und Aktuelle verwoben, das Kleinste neben dem Größten, das Lächerliche neben dem Erhabensten, das Unvereinbare so dicht aneinander gerückt, dass es sich gegenseitig elektrisch entlädt. Wölfische Lust am Verriss des Weltzustandes. »Wer schreibt, schreibt: wie es einmal war./ Die Milch vereist, die blaue Welt vergreist/ was rund und bunt war - eine Wüstenei. Schon /leiden wir's. Die Klassiker sind abgereist.«

Zu Ursula Krechels Roman sagte die Jury, er sei in seiner »Anmutung kühl und modern«, die Sprache oszilliere zwischen »Erzählung, Dokumentation, Essay und Analyse«. Die Geehrte selbst verwies auf eine Republik der Kälte, in der sich erst langsam die Archive öffneten. Vor Jahren hätte sie, auch aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen, ihren Roman noch nicht hätte schreiben können. Die Vergangenheit, in Ost wie in West: ein zäher, sich gern verkapselnder Stoff, nicht sehr freigiebig, wenn es um Ehrlichkeit geht. Ein Buchpreis belohnt Mühen. Und ermutigt. Denn nichts ist zu Ende getan.

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