Stimmungsmache statt Vernunft

Wulf Dietrich vom Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte fordert neue Strukturen in der ärztlichen Vergütung

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Trotz einer Honorarerhöhung um 1,27 Milliarden Euro schlossen Ärzte gestern ihre Praxen. Wie finden Sie das?
Dietrich: Unmöglich. Dafür gibt es keinen Grund. Das ist Stimmungsmache.

Ein Drittel aller ärztlichen Leistungen bleibt unbezahlt, sagt Dirk Heinrich von der Allianz der protestwilligen Ärzteverbände. Sehen Sie das auch so?
Überhaupt nicht. Ich sehe nur, dass das Vergütungssystem an sich ein ziemlich krankes System ist und einfach die Leistung nicht entsprechend widerspiegelt. Wenn Sie Herrn Heinrich mal fragen, was er als zu versteuerndes Jahreseinkommen hat, würden Sie ganz schön schauen. Im übrigen handelt es sich hier im wesentlichen um einen Aufstand der Fachärzte. Die Hausärzte beteiligen sich nicht an den Arbeitsniederlegungen und scheinen, obwohl sie am unteren Ende der Einkommensskala stehen, mit ihrem Verdienst doch recht zufrieden zu sein. Bei der Auseinandersetzung werden zwei Probleme vermischt: Die Verteilung der Honorare innerhalb der Ärzteschaft durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und die Verhandlungen mit den Kassen um den Punktwert, über den die Leistungen der Ärzte vergütet werden. Das eine ist ein innerärztliches Problem, das andere ein gesetzlich festgelegtes Verfahren, da gibt es nicht viel rumzutönen. In eine Formel setzt man die entsprechenden Variablen ein und dann kommt ein Ergebnis heraus.

Mit dem offensichtlich viele Mediziner nicht zufrieden sind.
Sie sind, glaube ich, mehr mit der Verteilung unzufrieden. Die Krankenkassen geben den 17 KV grob gesagt eine feste Geldsumme, die diese unter den Ärztegruppen verteilen müssen. Und da gibt es extreme Ungerechtigkeiten. Die Ärztefunktionäre möchten es sich mit keiner Lobbygruppe verderben, nicht mit den Kardiologen, Nephrologen, Diabetologen... . Jede Gruppe versucht, ihre Pfründe zu retten, indem sie für ihre Leistungen hohe Punkte bekommt.

Kann das Schließen von Praxen diese Probleme lösen helfen?
Es ist reine Arbeitsverweigerung, schadet den Patienten und letztlich auch den Ärzten, denn es schwächt deren Position gegenüber den Krankenkassen. Käme es wirklich soweit, dass die Ärzte die Sicherstellung der ambulanten Versorgung nicht mehr gewährleisten wollen, dann müssen die Krankenkassen diese übernehmen und Ärzte anstellen.

Wäre das so verkehrt?
Überhaupt nicht, nein.

Warum wird in den ostdeutschen Bundesländern kaum protestiert?
Ärzte haben hier eine größere Anzahl von Patienten. Die Facharztdichte ist weitaus geringer als im Westen. Vielleicht ist ihnen aber auch noch ein bisschen sozialistische Vernunft geblieben, die ihnen sagt: Es kann nicht sein, dass wir diese Probleme auf dem Rücken der Patienten aushandeln.

Wie sieht für Sie eine angemessene Lösung der Probleme der Ärzte aus?
Ich denke, dass man eine mehr oder weniger pauschale Vergütung für niedergelassene Ärzte brauchte, die sich nach Leistung und Arbeitszeit bemisst und nicht nach der Art der Tätigkeit. So wie es beispielsweise in einer Klinik ist. Hier bekommt der Mediziner ein festes Gehalt und muss das machen, was anfällt. Wenn viel anfällt, leistet er viel, wenn wenig anfällt, wenig. Wenn etwas Kompliziertes anfällt, dann freut er sich, weil es mehr Spaß macht. Aber das Geld ist letztlich das gleiche. So ähnlich müsste das auch in dem Bereich laufen.

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