Kosten-Index soll Emotionen dämpfen

Das Öko-Institut hat errechnet, wer tatsächlich an den gestiegenen Strompreisen Schuld hat

  • Nick Reimer
  • Lesedauer: 3 Min.
Um die Strompreisdebatte auf sachliche Füße zu stellen, hat das Öko-Institut einen Kostenindex erstellt.

Derzeit wollen uns die einen erklären, dass der Ausbau der Grünstromkraftwerke den Strompreis explodieren lässt. Die anderen versuchen uns dagegen einzureden, dass die Erneuerbaren den Strompreis an den Börsen senken.

Beide haben nicht unrecht, und doch auch nicht ganz recht. Deshalb hat das Öko-Institut einen Indikator entwickelt, der die Debatte versachlichen helfen soll: den Energiewende-Kosten-Index, kurz EKX. Es handle sich um »Hightech der numerischen Analyse«, so Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie beim Öko-Institut. Ergebnis sei »der Nettoeffekt von allen Einflüssen auf den Strompreis« - sozusagen die ganze Wahrheit.

Tatsächlich ist die Strompreisbildung ein komplexer Vorgang: Scheint beispielsweise mittags sehr viel Sonne, speist in Deutschland mittlerweile ein solarer Kraftwerkspark mit einer Leistung von über 30 000 Megawatt Strom ins Netz. Zum Vergleich: Braunkohlekraftwerke bringen es nur auf 17 000 Megawatt, Atomkraftwerke gar nur noch auf 12 000. Viel Sonnenstrom im Netz bedeutet ein Überangebot und damit Tiefstpreise an der Strombörse. Börsenstrom ist jetzt also billig. Weil aber die Verbraucher mit ihrer Umlage die Differenz zwischen Börsenpreis und Solarstromtarifen aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ausgleichen müssen, macht viel Sonne den Solarstrom plötzlich teuer - obwohl er die Stromhändler fast nichts kostet.

Zudem führte die Politik Befreiungen von der Ökostromförderung ein, um stromintensive Konzerne, die im internationalen Wettbewerb stehen, finanziell zu entlasten. Weil aber der produzierte Sonnenstrom trotzdem finanziert werden muss, zahlen die »Nicht-Befreiten« für die Befreiten mit. Felix Matthes nennt das den »industriepolitischen Teil des Strompreises«: Schwarz-Gelb hatte zuletzt die Ausnahmen auf 2023 Firmen fast verdreifacht. Die Allgemeinheit zahlt über die Stromrechnung für sie mit.

Solche Einflüsse sind nun in den EKX eingegangen. So wird nach Berechnung des Ökoinstitutes die EEG-Umlage 2013 von heute 3,59 auf dann 5,32 Cent steigen. »Damit wird Strom im kommenden Jahr inflationsbereinigt 30 Prozent teurer sein als vor zehn Jahren«, sagt Matthes. Und dank des EKX kann man jetzt auch ganz genau sehen, wer für diesen Preisanstieg wie verantwortlich ist.

29 Prozent des Anstieges verursachten demnach gestiegene Brennstoffpreise für Erdöl, Kohle oder Gas. 17 Prozent machen die Industrieausnahmen aus: Für Haushaltskunden könnte der Strom 2013 um 1,2 Cent billiger sein, würden die Befreiungen zurückgenommen. Zehn Prozent des Strompreisanstiegs gehen auf das Konto der europäischen Energiepolitik. Die EU hatte 2005 den Emissionshandel eingeführt, um fossile Energierohstoffe teurer zu machen - und so ein Klimaschutzinstrument geschaffen.

Die verbleibenden 44 Prozent Kostenanstieg seit 2003 gehen auf das Konto der Energiewende. Ein kleinerer Teil wurde demnach in den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung gesteckt, die überwiegende Menge über das EEG in den Ausbau von Sonnen- Wind- oder Biomassekraftwerken. Knapp ein Drittel davon geht auf das Konto der Photovoltaik. Damit wird für die Verbraucher ab 2013 die Kilowattstunde um 0,6 Cent teurer.

Privilegiert

Immer mehr Firmen sind von der EEG-Umlage befreit oder zahlen keine Ökosteuer – für 2013 wurden über 2000 Vergünstigungen beantragt. Ursprünglich waren Ausnahmen nur für Unternehmen im internationalen Wettbewerb vorgesehen. Derzeit zahlen aber nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) auch bundeseigene Firmen wie die Energiewerke Nord oder der Deutsche Wetterdienst keine Umlage; hinzu kommen so unterschiedliche Unternehmen wie Golfplätze, Geflügelmastbetriebe, Supermärkte oder Textilhersteller. Auch Verkehrsbetriebe – so in Stuttgart, Karlsruhe, Augsburg, München, Bremen, Freiburg, Rostock und Kassel –, Braunkohletagebaue oder Rechenzentren profitieren von den Ausnahmeregelungen. Ebenfalls keine EEG-Umlage zahlen laut einem Bericht des ZDF-Magazins Frontal 21 die Bayerische Milchindustrie, verschiedene Mineralwasserhersteller oder auch die Weimarer Wurstwaren GmbH.
Durch die EEG-Novelle, die den Kreis der Berechtigten vergrößerte, sind nun auch die Bitburger Brauerei, die Firma Deutsche Tiernahrung Cremer oder das Deutsche Milchkontor umlagebefreit.
97 000 Firmen zahlen zudem keine oder nur wenig Stromsteuer – umgangssprachlich Ökosteuer genannt –, darunter Flughäfen, Brauereien, Steinbrüche oder Varietétheater wie der Berliner Friedrichstadtpalast. (grg)

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.