Rechenprobleme bei der Eisenbahn

Britische Transportbehörde prüft Unregelmäßigkeiten beim Verkauf der Schienennetze

  • Christian Bunke, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Chaos bei den privatisierten britischen Eisenbahnen: Ein in trockenen Tüchern geglaubter Betreiberwechsel auf der wichtigsten Fernverbindung zwischen London und Glasgow wurde kürzlich überraschend gestoppt.

Die West Coast Mainline kreuzt Ballungszentren wie Manchester, Birmingham und Liverpool. Sie wurde 15 Jahre von Virgin Trains betrieben. Im August ging der Vertrag nach einem Bieterverfahren an die First Gruppe. Virgin strengte dagegen ein Gerichtsverfahren an. In Vorbereitung des Verfahrens fielen der Transportbehörde Unregelmäßigkeiten im Bieterverfahren auf. Seitdem sind drei laufende Verfahren gestoppt worden; 13 weitere stehen für unbestimmte Zeit auf der Warteliste.

In Großbritannien können Konzerne dafür bieten, Eisenbahnlinien für den Zeitraum von 15 Jahren zu betreiben. In ihrer Bewerbung müssen sie eine Premiumrate angeben, die sie dem Staat während dieser Zeit zahlen wollen. Die First Gruppe bot für die West Coast Mainline ein Premium von 13,9 Milliarden Pfund (17,3 Milliarden Euro).

»Sozialhilfe für die Konzerne«

Die Premiumraten müssen durch so genannte Risikokautionen gesichert werden. Kann ein Konzern kein Premium zahlen, behält der Staat die Risikokaution einer Firma ein. First bot 190 Millionen Pfund Risikokaution an. Diese Summe wird nun von der Transportbehörde als viel zu niedrig bezeichnet, weswegen man neu nachrechnen will.

Für die Transportarbeitergewerkschaft RMT kommen diese Rechenprobleme nicht überraschend. »Man kann sein Leben darauf verwetten, dass bei der Berechnung Fehler passieren,« so RMT-Generalsekretär Bob Crow. »Schließlich lügen die beteiligten Privatkonzerne mit unverschämter Dreistigkeit, um uns alle so viel wie möglich ausplündern zu können.«

In diesem Zusammenhang weist die RMT auf ein als »Sozialhilfe für Konzerne« bezeichnetes System hin: Machen Konzerne weniger Gewinn als erwartet, können sie Risikokautionen zurückbekommen oder die Premiumraten senken lassen. Im Jahr 2012 nutzten 8 von 19 Eisenbahnkonzernen diese Möglichkeit. Den Steuerzahler kostete das 451 Millionen Pfund. Eisenbahnunternehmen haben also ein Interesse daran, in ihre Gebote überhöhte Gewinnerwartungen hineinzuschreiben.

Regierung fürchtet Verstaatlichungswelle

In der Transportbehörde laufen zwei Untersuchungen zum Thema. Eins beschäftigt sich mit der West Coast Mainline, ein anderes mit den Verfahren als solche. Drei Angestellte der Behörde wurden bereits entlassen. Die Regierung will anscheinend so von eigener Schuld ablenken. Premierminister David Cameron ließ erklären, die Minister hätten sich in dem Zahlensalat nie auskennen können. Das sei Aufgabe der Beamten.

Hinter verschlossenen Türen wird nun diskutiert, wie es weitergehen soll. Am 9. Dezember hätte First die West Coast Mainline übernehmen sollen. Eine Möglichkeit ist die Verstaatlichung. Das will die Regierung aber vermeiden. Schon an der Ostküste fährt seit einigen Jahren wieder eine verstaatlichte Linie, nachdem der Betreiber Pleite ging. Die Verstaatlichung der West Coast Mainline würde der RMT-Forderung nach Verstaatlichung des Gesamtnetzes weiter Nachdruck verleihen.

Wahrscheinlicher ist deshalb, dass Virgin die Linie zunächst weiterbetreibt. Der Konzern kann sich damit auf unerwartete Einnahmen freuen. Schätzungen zufolge würde diese Variante die britischen Steuerzahler 60 Millionen Pfund kosten. Geld, dass laut Gewerkschafter Crow »viel besser als Investition in öffentliche Dienstleistungen aufgehoben wäre«.

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