LINKE will wieder unter die Leute
Vorsitzender Klaus Lederer fordert vor Landesparteitag weniger Selbstbeschäftigung und mehr Politik
nd: Die LINKE rüstet am Wochenende auf einem Landesparteitag zur Bundestagswahl? Die Umfragen sind nicht üppig. Was und wie wird mehr zu holen sein?
Lederer: Indem wir uns auf Politik konzentrieren. Die LINKE wird nach dem Göttinger Parteitag wieder stärker mit Inhalten wahrgenommen: Ostrenten, Mieten, sozialer Zusammenhalt. Mehr Menschen, die uns schon einmal gewählt haben, wollen es inzwischen auch wieder tun. Wir suchen den unmittelbaren Kontakt, wollen mit offenen Ohren durch die Welt gehen, das Gespräch finden - wir wollen unter die Leute und uns nicht so sehr mit uns selbst beschäftigen.
Bei den Mieten drückt es ja ganz gewaltig.
Wir haben eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch gelegt, wie man landespolitisch gegensteuern könnte. Die SPD hat inzwischen auch erkannt, dass steigende Mieten kein Ausweis einer florierenden Stadtentwicklung sind. Nur - es passiert nichts. Da muss die LINKE Druck machen - von Zweckentfremdungsverbot über Umwandlungsverordnung bis zur Ausweitung von Belegungsrechten und der Schaffung neuen Wohnraumes.
Bei der Rekommunalisierung von Unternehmen der Daseinsvorsorge scheint der rot-schwarze Senat aber willig.
Bisher bemerke ich nur Ankündigungspolitik. Die SPD blinkt links bei den Energienetzen. Der Senat lehnte das Volksbegehren, das wir unterstützen, aber ab. Für die S-Bahn wurde die Teilausschreibung und damit das S-Bahn-Chaos auf Dauer beschlossen. Bei den Wasserbetrieben sollen die RWE-Anteile zurückgekauft werden, aber die sprudelnden Gewinne bleiben unangetastet. Die gebotenen Schritte werden nicht gegangen. Wir als LINKE haben dazu finanzierbare und auch durchsetzbare Konzepte.
Ist das eine Lehre aus der Regierungsbeteiligung, die die LINKE Stimmen gekostet hat?
Eine Lehre ist, dass wir uns nicht scheuen dürfen, unsere eigenen Positionen klar zu markieren. Sie sind Ausgangspunkt für die Mobilisierung in der Stadtgesellschaft. In Opposition wie in Regierung darf man niemals darauf verzichten, mit sehr konkreten Gestaltungsansprüchen anzutreten. Man muss natürlich Widerstand leisten, Proteste unterstützen, Anliegen Gehör verschaffen. Aber eine politische Partei muss darüber hinaus konkrete, umsetzbare Vorschläge machen.
Gerade die Zeit von Rot-Rot habe Glaubwürdigkeit gekostet, sagen Ihre Kritiker. Vorhaben der LINKEN wurden nicht wie gewollt umgesetzt oder in der Koalition aufgeweicht.
Eine Koalition besteht immer aus Kompromissen. Glaubwürdigkeit ist die Einheit von Wort und Tat. Viele politische Anliegen, mit denen wir in die zweite Legislaturperiode gegangen sind, haben wir abrechenbar umgesetzt. Es gibt aber immer wieder auch neue Probleme. Die Mieten waren so eins. Wir konnten zwar 2006 Wohnungsprivatisierungen per Koalitionsvertrag ausschließen, bissen jedoch mit allen weiteren Vorschlägen bei der SPD bis zum Schluss auf Granit. Dann muss man damit rechnen, dass so etwas Vertrauen, Unterstützung und auch Wählerinnen und Wähler kostet - und daraus lernen.
Verlust von Glaubwürdigkeit ist auch ein Vorwurf an den Vorsitzenden. Nun kandidieren Sie wieder.
Menschen, die in Spitzenfunktionen sind, konzentrieren natürlich auf sich ein besonderes Maß an Verantwortung. Die Herausforderung ist immer wieder, ein lernender Mensch zu bleiben. Mein Anspruch ist, dafür Sorge zu tragen, dass auch die Partei sich als lernender Organismus weiter entwickelt. Die Delegierten haben die Wahl, ob sie mir das zutrauen oder nicht.
Ist die LINKE ein Jahr nach Rot-Rot in der Opposition angekommen?
Wir sind die Partei, die die Finger in die Wunde legt, auf Bruchstellen der schwarz-roten Koalition verweist und Druck macht. Erschreckend, wie schnell die Koalition wieder in den 90er Jahren gelandet ist: mental, politisch, inhaltlich. Unsere Genossinnen und Genossen sind unterwegs und hören zu, welche Erwartungen es an uns gibt und welche Themen wir aufnehmen: von der Stillen Straße bis Kotti & Co.
Also mehr Arbeit vor Ort?
Logisch. Wenn die Fernsehkameras im Abgeordnetenhaus abgeschaltet sind und die Journalistinnen und Journalisten die Pressetribüne verlassen haben, kannst du noch so gute Oppositionspolitik machen, das bekommt keiner mit. Es reicht nicht das richtige Argument im Parlament, gebraucht wird auch die Unterstützung aus der Stadt.
Vor Ort die Ohren spitzen, wissen, was vorgeht, Argumente unter die Leute bringen - dazu braucht es die Basis. Die wird aber immer schmaler.
Unsere Kraft müssen wir effektiv, punkt- und zielgenau einsetzen. Da haben wir Reserven. An der Mitgliederstruktur kann nur attraktive Politik etwas ändern, die unmittelbare Erlebbarkeit von Partei, das Gespräch, der gemeinsame Kampf im Kiezverein oder die Demonstration auf der Straße. Das sind Orte, an denen wir als Partei erlebbar sind.
Indem du spannende Politik machst, bekommst du auch neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Auch mit schrumpfender Basis müssen wir dafür sorgen, dass diese Menschen in unserer Partei Orte finden, an denen sie sich gerne gemeinsam mit anderen politisch engagieren.
Hat die Partei ein Strukturproblem?
Wir haben eine Alterspyramide in der Mitgliedschaft, in der unsere älteren Genossinnen und Genossen überproportional vertreten sind. Bei Menschen im berufstätigen Alter tut sich eine echte Lücke auf. Stärker sind wir wieder unter den Jüngeren.
Das ist auch historisch gewachsen. Aber ich will nicht jammern. Wir haben bei den Volksbegehren zur S-Bahn und den Energienetzen gezeigt, dass wir nach wie vor mobilisieren und etwas leisten können. Das bleibt ein Pfund.
Die Partei wirkte aber früher schon mal auch recht flippig und locker.
Wir brauchen auch davon wieder etwas mehr. Entscheidend ist, dass wir als Partei in größerer Breite in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen verankert sind.
Interview: Klaus J. Herrmann
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