Der dokumentarische Herzog
Kino Arsenal, Kinemathek und Einstein-Forum zeigen und analysieren Filme von Werner Herzog
Wenn von Werner Herzog die Rede ist, werden die meisten an die legendären Spielfilme mit Herzogs »liebstem Feind« und häufigem Star Klaus Kinski denken, an »Fitzcarraldo« oder »Aguirre, der Zorn Gottes«, an den Flussdampfer, der über amazonische Bergrücken gezogen wird, oder an Kinskis wahnsinnigen Conquistador, allein auf einem Floß dem Untergang entgegensehend, belagert von Totenkopfaffen. Aber es steckt mehr in Herzog als megalomaner Furor und der unbedingte Wille zum Überkommen aller menschlichen und logistischen Hindernisse. Heute gehört Herzog vor allem als Dokumentarfilmer zur Speerspitze der interessantesten Regisseure weltweit.
Eine Filmreihe im Arsenal steht deshalb zwar unter dem bezeichnenden Titel »An den Grenzen - Werner Herzog«, zeigt aber nicht die großen Spielfilme, die längst zum Filmkanon gehören, sondern ausschließlich Dokumentarfilme aus Herzogs jüngerem Schaffen. Dass das beinahe ausnahmslos US-Produktionen sind und in Deutschland gar nicht mehr regulär im Kino zu sehen waren, ist ein herber Verlust für die deutsche Kinolandschaft. Mit »Grizzly Man« über den selbst ernannten amerikanischen Bärenschützer Timothy Treadwell, der glaubte, mit wildlebenden Bären im kanadischen Alaska eine Gemeinschaft aufbauen zu können und am Ende von ihnen zerrissen wurde, machte Herzog vor sieben Jahren weltweit Furore. Hierzulande war der Film erst bei seinem DVD-Start zu sehen. Dabei gehört seine Mischung aus Tatsachenbericht, Psychogramm und Versuch über die menschliche Hybris zu den eindrucksvollsten dokumentarischen Werken der letzten zehn Jahre.
Man spürt die Faszination, die Herzog für diesen Mann empfunden haben muss, der sich unter Ausschluss aller - auch ihm selbst durchaus bekannten - Sicherheitsbedenken so leidenschaftlich in seine selbstgewählte Aufgabe verbiss, dass er daran zugrunde ging. Und seine Freundin gleich mit, die ihn noch todesmutig mit der Bratpfanne gegen einen hungrigen, alten, am Überlebenskampf seinerseits schon fast gescheiterten Bären zu verteidigen suchte, statt einfach wegzulaufen. Zwar hört man auch die skeptische Distanz, die Herzog dieser fatalen Monomanie entgegenbringt (schon die von Herzog selbst in seinem unverkennbaren, bis heute stark bajuwarisch geprägten Englisch eingesprochenen Kommentare können zum Suchtstoff werden). Aber spätestens in dem Moment, wenn der Regisseur der Tonaufnahme vom Tod der beiden lauscht, die Treadwells Kamera noch aufzeichnete, und der Zuschauer dabei nur an der mühsam beherrschten Reaktion seines Gegenübers erkennen kann, was Herzog gerade hört, ist da vor allem ein Mitleiden.
»Encounters at the End of the World«, zwei Jahre jünger, ist eine weitere Grenzauslotung, diesmal über Menschen auf Außenposten in der Antarktis. Und mit dem Fernseh-Vierteiler »Death Row«, der hier bisher nur auf der Berlinale zu sehen war, setzt sich Herzog mit dem US-amerikanischen Festhalten an der Todesstrafe auseinander, ohne dabei vor den Gräueln zurückzuschrecken, die manche der von ihm interviewten Todeskandidaten ihrerseits über die Welt brachten. Ein Häftlingsbesuch im Todestrakt führte zum nächsten, jeder Fall eigen und andersartig, allen Häftlingen der obrigkeitlich verordnete, amtlich festgesetzte Todeszeitpunkt gemeinsam. Dabei ist von Anfang an klar, dass Herzog die Todesstrafe ablehnt, sich aber auch nicht mit den Häftlingen gemein macht. Sie als Menschen behandelt, trotz ihrer (mutmaßlichen) Taten, aber nicht zu Unschuldslämmern verklärt. Vier harte Filme, im Arsenal an zwei aufeinanderfolgenden Abenden zu sehen. In den ersten der beiden wird Herzog selbst einführen. Am Freitag gehört das Wort dann den Forschern, die unter anderem ihre Erkenntnisse über Herzogs Erzählformen, sein Konzept der gefühlten, »ekstatischen« Wahrheit und seinen Humor darlegen werden.
Filmreihe 21.-24.10 (Kino Arsenal), Symposium (Dt. Kinemathek) 26.10. (Anmeldung unter Tel. 300 90 30, freier Eintritt), Kartentel. Filmreihe 26 95 51 00, Info unter www.arsenal-berlin.de
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