Gesinnung vor Gericht

Solidarität mit Deniz K.

  • Dirk Hansen
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein antifaschistischer Demonstrant ist in Nürnberg wegen fünffachem versuchten Totschlags angeklagt.

»Bitte genau berichten. Ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?«, notierte der damalige bayerische Innenminister Günter Beckstein (CSU) im September 2000 an einen Zeitungsartikel über den Mord am Blumenhändler Enver Şimşek. Doch der oberste Dienstherr konnte die Nürnberger Polizei nicht dazu bringen, ein rassistisches Tatmotiv zu berücksichtigen. Erst als 2011 die Tatwaffe aus den Trümmern einer gesprengten Wohnung im sächsischen Zwickau gezogen wird, kann der Fall aufgeklärt werden. Gleichzeitig wird einer der größten Geheimdienst- und Polizeiskandale in der Geschichte der Bundesrepublik aufgedeckt. Mehr als zehn Jahre lang konnte der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) ungestört mindestens 10 Menschen ermorden. Drei davon, Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar, in Nürnberg.

Das Antifaschistische Aktionsbündnis Nürnberg demonstrierte deswegen imMärz 2012 für die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Dabei kommt es zu Auseinandersetzungen mit der aggressiv auftretenden Polizei. Nach Angaben der Organisatoren müssen mehrere Menschen mit Kopfverletzungen im Krankenhaus behandelt werden, eine Stadträtin der Linken Liste wird von der Polizei erst beleidigt und dann in Gewahrsam genommen. Die Polizei spricht von vier leicht verletzten Beamten. Insgesamt fünf Menschen werden festgenommen, am Abend jedoch wieder freigelassen.

Motiv wird unterstellt

Drei Wochen später wird der junge Antifaschist Deniz K. verhaftet. Der Vorwurf: Er soll auf der Demonstration mit einer Fahnenstange auf zwei Polizisten eingestochen haben, die Staatsanwaltschaft sieht darin einen versuchten Totschlag. Der 19-jährige Stuttgarter kommt in Untersuchungshaft, verliert seinen Praktikumsplatz in einer Werkstatt für Behinderte und so einen zugesagten Ausbildungsplatz. Sein Rechtsanwalt Martin Heiming weist die Vorwürfe als »absurd« und »hochgegriffen« zurück, andere sagen, er habe sich gegen die Angriffe der Polizei nur verteidigt. Doch die Staatsanwaltschaft legt noch drauf. Sie erhebt Anklage wegen fünffachen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Was die Ermittlungsbehörden bei den Morden an Migranten nicht sehen wollten, einen politischen Hintergrund der Tat, unterstellen sie Deniz K. In der Anklageschrift wird dessen linke politische Gesinnung als Motiv angeführt. Weil er die bürgerliche Ordnung ablehne, sei ihm auch der Tod von deren Repräsentanten egal, erläutert Heiming die Argumentation der Staatsanwaltschaft. »Für uns steht fest, dass Deniz nicht allein für das, was er getan haben soll, vor Gericht steht, sondern für das, was er vertritt. Er steht als organisierter Antifaschist und Kommunist vor Gericht«, so das Solidaritätskomitee »Freiheit für Deniz K.«. Wenn es nicht gelingt, die Vorwürfe zu entkräften, droht Deniz eine mehrjährige Haftstrafe. Das Solidaritätskomitee ruft daher zu Prozessbeginn am morgigen Dienstag um 8.30 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth auf.

denizk.blogsport.de

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.