Handel mit Adressen boomt
Auch Bundesregierung kauft Bürgerdaten
Welche Behörde, welches Unternehmen hat was über mich gespeichert? Wie sind die überhaupt an die Daten gekommen? Einmal pro Jahr hat jeder Bundesbürger das Recht, darauf eine Auskunft zu erhalten. Die Chance wird nur selten genutzt.
Viele Datenquellen sind leicht lokalisierbar. Die Teilnahme an einem Gewinnspiel etwa. Selbstverständlich kennt Facebook seine »Freunde«, die Kfz-Teile- und Werkstattkette ATU hat das Zulassungsdatum von Kundenautos gespeichert, Amazon merkt sich die literarischen Vorlieben von Bestellern. So lassen sich passgenaue Angebote unterbreiten. Das Ohnmachtsgefühl von Bürgern ist übergroß, seitdem der Bundestag im Sommer im Galopp das Meldegesetz ändern wollte. Nach dem Stopp durch den Bundesrat ist der Vermittlungsausschuss damit befasst.
Die Schober Group - nach eigener Sicht ein »anerkannter Branchenführer auf dem Gebiet der Marketing-Dienstleistungen« - verfügt über 50 Millionen deutsche Privatadressen. Damit speichert dieser sogenannte Listbroker (Adresshändler) Daten von 62 Prozent der Bevölkerung. Neben Adressen können auch 300 sogenannte Zusatzmerkmale - vom Hobby über Fahrzeugbesitz, und Altersvorsorge abgerufen werden.
Einen Teil ihrer Daten erhalten Listbroker von Meldebehörden. Hamburg beispielsweise strich im ersten Halbjahr 2012 für Meldeauskünfte über 120 000 Euro ein. Die Einnahmen werden sinken, denn längst haben Listbroker eigene »Melderegister« - und die Bundesregierung keine Ahnung über deren Verwendung.
Das liest man aus einer Antwort der Regierung auf die Anfrage des Bundestags-Linksabgeordneten Jan Korte heraus. Zudem erfährt man, dass die Bundesregierung selbst den Service von Listbrokern in Anspruch nimmt. So arbeiten die Statistischen Ämter von Bund und Ländern mit dem Bureau van Dijk zusammen. Man kam über eine vom Bundesinnenministerium initiierte EU-weite Ausschreibung auf die Firma, von der man beispielsweise 900 000 Datensätze über 100 000 natürliche Personen mit deren Besitzanteilen an deutschen oder ausländischen Unternehmen bezog. Jährliche Kosten: 220 000 Euro.
Kaufaktiv sind das Bundesarbeitsministerium- und Einrichtungen aus dem Bereich des Bundesgesundheitsministeriums. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat beispielsweise Ärzte mit Infomaterial überschwemmt. Zwischen Januar und September 2012 mietete man dafür neun Mal Adressen. Unter anderem von der Schober Group. Wie detailliert die Auswahl ist, zeigt eine Versandaktion zum Thema »Leben mit behinderten oder chronisch kranken Kindern«. Man schrieb zielgerichtet Krankenhäuser mit gynäkologischen Abteilungen an. 2010 kaufte man dafür 1000 Adressen.
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