Uneingelöste Versprechen

Andreas Fischer-Lescano will mit globalen sozialen Rechten den Neoliberalismus herausfordern

  • Anna Weber
  • Lesedauer: 3 Min.

Was vereint Studierende in Deutschland mit Landarbeitenden in Brasilien? Sie kämpfen für ihre Rechte. Die einen für den freien Zugang zu Bildung, die anderen für den gleichen Zugang zu Land. In ihrem Buch »Der Kampf um globale soziale Rechte« bescheinigen die Europaexperten Andreas Fischer-Lescano und Kolja Möller diesen Kämpfen ein gemeinsames Potenzial: Sie könnten die Macht des Neoliberalismus brechen.

Von »globalen sozialen Rechten« ist in linken Bewegungen seit ein paar Jahren die Rede. 2006 bezog sich das Europäische Sozialforum im Titel auf »soziale Rechte«. Nach den G 8-Protesten in Heiligendamm gründeten Attac, IG Metall, das Netzwerk »Kein Mensch ist illegal« und andere eine gleichnamige Plattform. Fischer-Lescano und Möller, die beide im Sonderforschungsbereich »Staatlichkeit im Wandel« der Universität Bremen arbeiten, führen mit ihrer Veröffentlichung nun die deutschsprachige Debatte fort. Sie erörtern auch für Nicht-Juristen nachvollziehbar deren Durchsetzungsmöglichkeiten. Die beiden Wissenschaftler sind Gründungsmitglieder des parteiübergreifenden »Instituts Solidarische Moderne«, sie streiten also auch außerhalb ihrer Forschung für Solidarität. Der Rechtsprofessor Fischer-Lescano wurde zudem bekannt, weil er Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg des Plagiierens überführte. Der Politologe Möller schreibt für das linksparteinahe Magazin »Prager Frühling«.

Am Anfang ihres kleinen Buches erinnern die Autoren an drängende Missstände. Armut trotz Reichtum und grenzüberschreitende Krisen erfordern neue Lösungen. Regierungen und Kommunen besäßen zwar weiterhin Gestaltungsmöglichkeiten, doch stoßen sie immer wieder an die Grenzen neoliberaler Handelsverträge. Von diesen Verträgen profitieren vorrangig große Konzerne. Zumindest bislang. Denn Fischer-Lescano und Möller erkennen eine im Entstehen begriffene Weltgesellschaft, die den Zugang zu Allgemeingütern und die Verwirklichung von sozialen Rechtsversprechen lautstark einfordert.

So ist es den Bewohnern der bolivianischen Stadt Cochabamba gelungen, das Recht auf Wasser für sich durchzusetzen - hartnäckig und gegen Konzerninteressen. Sie bekamen Unterstützung von sozialen Netzwerken und Nichtregierungsorganisationen und verwiesen auf den Widerspruch zwischen dem UN-Recht auf Nahrung und den für sie negativen Folgen durch die Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung. Durch lokalen Protest und globale Unterstützung wurde das Wassergesetz Boliviens geändert - die Bedürfnisse der Bevölkerung wurden verteidigt. Um diesen Erfolg fortzusetzen bedarf es auch genauer Kenntnisse jener Normen, die auf der Bühne globaler Rechtsverordnungen verhandelt werden.

Doch was können alte und neue Akteure, Parteien, Gewerkschaften, soziale Bewegungen angesichts der gegenwärtigen Krisen tatsächlich erreichen? Die Autoren beschreiben die Finanzkrise als vernetzt mit Umwelt-, Ernährungs- und Migrationskrisen. Sie betreffen die gesamte Welt. Doch die Weltgesellschaft hat keine Zentrale, an der sie solidarische Entscheidungen gemeinsam treffen kann. Und die existierenden Institutionen wie Weltbank oder Internationaler Währungsfonds, die die globalen Herausforderungen vielleicht anpacken könnten, sind Teil des Problems.

Fischer-Lescano und Möller werben für einen Blick über den nationalen Tellerrand - auch in Richtung der von Linken so viel gescholtenen Europäischen Union. Sie räumen ein: Die EU stellt sich bisher in erster Linie als unsoziale Finanz- und Wirtschaftsunion dar. Und fordern trotzdem, sie nicht kampflos aufzugeben. Auch hier gelte es, um Recht zu kämpfen. Grenzüberschreitend. Fischer-Lescano und Möller diskutieren weitergehende Vorschläge: Sie plädieren für einen EU-Sozialgerichtshof, der Individual- und Kollektivrechte verteidigen helfen soll. Und sie betonen, dass gemeinsamer Druck auf Straßen und Plätzen durchaus etwas bewirken kann. Man braucht dafür verbindende Forderungen, die jenen marktliberalen Politikstil herausfordern, der zugleich Ursache der ökonomischen Krise ist. Dies könnte etwa der Ruf nach einem europaweiten Mindestlohn sein oder einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle Menschen, die in Europa leben. Eine Rechtsgrundlage, auf die man sich dabei beziehen könnte, wäre die Europäische Sozialcharta. Ob und wie diese genutzt werden kann, steht ausführlich in dem lesenswerten Buch.

Andreas Fischer-Lescano, Kolja Möller: Der Kampf um globale soziale Rechte, Wagenbach 2012, 96 S., 14,90 €.

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