Spätwerk eines Avantgardisten
In der Akademie der Künste ist Fotograf Heinz Hajek-Halke »Der Alchimist«
Zumindest für die Jüngeren dürfte die Schau einer Neuentdeckung gleichkommen. Von den über 200 Spätwerken des Fotografikers Heinz Hajek-Halke, durch Schenkung ins Archiv der Akademie der Künste gelangt, zeigt sie am Pariser Platz einen bedeutenden Teil, ergänzt durch Beispiele aus den 1930ern sowie Diarien und Arbeitsbücher des Künstlers, der seine Werke zeichnerisch und beschreibend minuziös vorbereitet hat. Damit sind sie, trotz jahrelanger Widerstände, endlich in der Stadt angelangt, wo Hajek-Halkes Leben 1898 begann, 1983 durch Krebs endete. In Buenos Aires wuchs er auf, war Soldat im Ersten Weltkrieg und studierte dann bei Emil Orlik an der Kunstgewerbeschule Berlin.
Plakate, Werbeanzeigen, Schriften, Pressefotografien entstanden auch zusammen mit Kolleginnen wie Yva. Nach dem zweiten Krieg, den er im Exil am Bodensee überstand, zog ihn die abstrakte und experimentelle Fotografie in Bann: In rastloser Recherche wurde er, auch als Professor an der Hochschule der Bildenden Künste, ihr eifriger, singulärer Exponent. Seitdem die Fotografie um 1965 als ebenbürtige Kunst anerkannt war, stieg die Reputation auch für Hajek-Halke. Viele Gruppen- und Einzelausstellungen zeigten sein Œuvre. Doch erst knapp drei Dezennien nach dem Tod enthebt die Schau am Pariser Platz seine Leistung dem Vergessen.
Zwei Meisterwerke flankieren überlebensgroß den Eingang. Im »Schwarz-Weißen Akt« von 1930-36 stoßen in der Torsion und mit abgewandtem Gesicht zwei nackte Frauenkörper zusammen, gleiches Modell, einmal aber über technische Eingriffe mit geschwärzter Haut. Gleich siamesischen Zwillingen scheinen die beiden Leiber verwachsen. Zwei Jahrzehnte später datiert ein ähnliches Motiv: Die Haut der Nackten ist hier, wieder im Experimentallabor, von Flechten überlagert, scheint brüchig wie bei einer verwitterten Plastik. So wandelt Hajek-Halke fotografische Prints auf ganz unverwechselbare Weise in Bilder um, greift eigene Motive auf und interpretiert sie neu. Seine »Umarmung« soll »geschlossene, ausgewogene Form« sein, notiert er auf dem Blatt, »muss wie Kampf wirken!«, hieß zuerst »Liebespaar«, was ihm offenbar zu konkret war, taucht mehrmals als fotografische Durchdringung von Leibern auf, auch als Negativ gleich einer Röntgenaufnahme, und ist so schlicht wie raffiniert »nur« ein Gebilde aus Maschendraht.
Immer wieder sind es Anregungen aus der Natur, die Hajek-Halke verarbeitet und verfremdet, Samenkörnchen der Birke etwa zum Vogelzug, das Gerüst eines Blattes als reine »Textur-Struktur«, Albatros, auf Wellen flatternde Fledermäuse, ironisch bisweilen wie die »Fressgemeinschaft«: Fische, freilich auch sie nur noch stilisiert, knabbern an einem Formgebilde. Pulsende, tropfende, aufschäumende, gesplitterte, zerbröselnde, oszillierende oder sich verwirrende Formen sind es, die er in seinen Lichtgrafik genannten Montagen nach akribischer Vorplanung entstehen lässt, Gitter, Fäden, Durchbrüche, oft runde Formen im Spiel mit dem Licht. Selten widmet er sich Personen, etwa dem Kabarettisten Wolfgang Gruner, den er pfiffig grübelnd über einem Obststand collagiert, oder, fast 30 Jahre früher, der Sängerin, die über Klavier spielenden Händen lachend ihren »Gassenhauer« trällert. Schon damals, 1932, bebildert er in der Manier John Heartfields »Üble Nachrede«: Auf einer Nackten trampeln drei bigotte Herren mit Zylinder, dahinter warten Droschken auf Gäste. Fasziniert war Hajek-Halke offensichtlich vom regen Baugeschehen im Hansa-Viertel, dessen Gerüstwald, Schächte, Gruben er in einer Serie technisch fein veränderter Fotos festgehalten hat. Aus einem wellenförmigen Gemäuer komponiert er zur selben Zeit witzig ein »Maurerlied«.
Doch auch düsteren Themen widmen sich seine bei aller Freiheit der Gestaltung formstrengen Arbeiten. »Alpdruck« heißen sie, »Mond des Lumpensammlers« mit der Textur von Stoff als Basis, »Nie wieder« als Sinnbild einer Bombenexplosion, »Ende des Atomzeitalters« mit einem knorrig toten Ast, »Angsttraum« aus schemenhaft schwarzen Vögeln, »Lolita« aus ballongesichtigem Kind-Mädchen und kantigem Alten, »Das Ende«, wenn eine Art Netz alles Verbliebene einfängt. Und immer wieder »Vergänglichkeit« als in Veränderung befindliche Formstruktur.
Auf »Des Himmels Notausgang« leuchtet gutmütig eine Glühbirne über der Tür; »Das trunkene Schiff«, wie es vor konzentrischen Kreisen treidelt, mag von Rimbauds Kolossalgedicht inspiriert sein; »In stolzer Trauer« flattert ein schwarzer Flor vor leuchtendem Weiß. Dicht und elegant fallen Hajek-Halkes Experimente mit Folien aus, mit Farbe als neuem Kompositionselement, und erreichen Kleesches Format. Wie er all jene Effekte im Laborbecken erzeugte, hat »Der Alchimist«, dies der Ausstellungstitel, als sein Geheimnis sorgsam gehütet. Schau und Werkausgabe halten es zumindest im Ergebnis fest.
Bis 4.1., Di.-So. 11-19 Uhr, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Mitte, Telefon: 200 57 10 00, www.adk.de
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