Kein Grund zum Frohlocken: zur Krise der Piraten
Einen Grund zum Frohlocken bietet die Krise der Piraten dennoch nicht. Durch die Brille der parteipolitischen Konkurrenz betrachtet mag es wie ein Vorteil erscheinen, wenn ein Mitbewerber zurückfällt. Doch was die Piraten verlieren, kommt nicht automatisch anderen Parteien zugute - und schon gar nicht automatisch den mehr oder weniger linken unter ihnen. Wer die Piraten bisher aus Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien unterstützte, wird angesichts der Farce, welche die Politfreibeuter derzeit aufführen, nicht zur Tragödie zurückkehren. Kurzum: Mit der Krise der Piraten wird die Zahl derer größer, die sich vom Politgeschäft wieder abwenden.
Doch das Problem ist nicht nur eines der Integrationskraft eines parlamentarischen Betriebes, den zu kritisieren es viele Gründe gibt. Die Krise der Piraten zeigt im Zeitraffer, wie der politische Anspruch, es ganz anders zu machen, im trüben Wasser parteipolitischer Eigenlogik ertrinkt. Die Grünen haben diese Phase in Richtung Anpassung ebenso durchlaufen wie die neue Linkspartei damit zu kämpfen hat, nicht endgültig „anzukommen". Nun stehen die Piraten an der Linie, die zu übertreten bedeutet, nicht mehr als anders wahrgenommen zu werden.
Ein Spiegel gesellschaftlichen Umbruchs
Johannes Ponader, Sebastian Nerz, Bernd Schlömer und die anderen haben in Wahrheit nicht die Wahl, es den „Großen" nachzutun, also Machtpolitik hinter die Vorhänge zu verbannen, vor den Kameras gute Miene zum schlechten Spiel zu machen und sich - ach diese Forderung! - endlich ein „richtiges Programm" zu geben. Dann wären sie nicht mehr Piraten. Bleiben sie andererseits die Unfertigen, die Überraschenden, die Fehlermachenden, zieht sie der Strudel der veröffentlichten Meinung, der so etwas als „neu" nur vorübergehend duldet, unabwendbar weiter in den Abgrund von „Personaleklats" und anderen Geschichten.Wenn man die Piraten als Spiegel neuer gesellschaftlicher Konflikte versteht, als Ausdruck eines mit veränderten Produktionsweisen wachsenden Bedürfnisses, auf der politischen Bühne endlich jene Themen anzusprechen, die den anderen Parteien lange Zeit nicht die Bohne wert waren; endlich jene Formen von Offenheit und Beteiligung zur Geltung zu bringen, die in Zeiten des Netzes auch technologisch überfällig waren; dann bedeutet ihr Niedergang auch das Wiederaufreißen dieser Lücke in der politischen Repräsentation.
Falls der Gedanke richtig ist, dass die Piratenpartei entlang von Fragen ihren Aufstieg erlebte, die damit zusammenhängen, welche Wissensordnung sich in einer Phase des revolutionären Umbruchs der technologischen und sozialen Verhältnisse herausbilden wird, wer also künftig mit welchen Begründungen an den Hebeln von Zugang, Produktion, Speicherung und Verbreitung zieht, dann ist die Krise der Piraten auch eine Krise der politischen Reaktion auf diese Herausforderung.
Schadenfrohe Tweets und selbstgewisse Gesten
Es gibt keinen Grund, in die klammheimliche Freude einzustimmen, die man ob des gegenwärtigen Niedergangs der Piraten aus anderen Parteien vernimmt, in die schadenfrohen Tweets und selbstgewissen Gesten. Es mag vielen in den Kram passen, wenn die Piraten als zwar sympathische aber eben doch unfähige Nerds scheitern. Mit ihnen würde allerdings auch ein Akteur aus der ersten politischen Liga verschwinden, der mit seinen Themen - freie Kommunikation, Schutz der Privatsphäre, offene Daten, Kritik des Urheberrechts - mehr adressiert als bloß die Interessen von jungen Leuten mit Internetanschluss und prekären Jobverhältnissen.Die Piraten haben Fragen der Eigentumsordnung, des Sozialen und der politischen Macht, der Rechtsordnung und des Alltags ins Zentrum gerückt, auf die gerechte und ökologische Antworten zu finden sich nicht damit erledigt, dass sie wegen des Niedergangs einer noch jungen Partei keiner mehr auf diese Weise stellt. Niemand sollte allein auf die anderen setzen, bloß weil die jetzt auch viele netzpolitische Konferenzen abhalten.
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