Auferstehung eines Totgesagten
MEDIENgerüchte: Fidel Castros Ableben
Fidel Castro war mal wieder tot. Zum wiederholten Male wartete die rechtskonservative spanische Tageszeitung ABC Mitte des Monats mit der Nachricht über den vermeintlich im Sterben liegenden Revolutionsführer auf. Ein venezolanischer Mediziner habe die Nachricht »gegenüber ABC enthüllt«, während die kubanischen Behörden den moribunden Zustand des 86-jährigen Ex-Staats- und Regierungschef verheimlichten, berichtete Ludmila Vinogradoff, die Venezuela-Korrespondentin des Blattes. Drei Tage später musste der zwar gebrechlich wirkende, aber fidele Castro sein Leben belegen: Mit einer aktuellen Ausgabe der Tageszeitung »Granma« ließ er sich von einem seiner Söhne im ländlichen Idyll ablichten.
So weit, so skurril. Aber wie kann es eine offensichtliche falsche Meldung mit zwielichtiger Quelle in die internationalen, also auch deutschen Schlagzeilen schaffen? Gewährsmann der Nachricht war wieder einmal der venezolanische Arzt José Rafael Marquina. Der Pulmologe lebt seit Jahren im Südosten des US-Bundesstaates Florida, wo er eine Klinik für »Schlaftherapie« betreibt. Zwar ist Marquina kein Onkologe. Dennoch wurde er von Vinogradoff in regelmäßigen Abständen auch interviewt, um den Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez vorherzusagen. Im Juli prognostizierte er, dass Chávez nur noch durch die Injektion von Steroiden am Leben gehalten wird. Im Fall Castros berichtete er von einer Embolie »der rechten Hirnarterie«, ohne auszuführen, was er damit meint.
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, könnte man meinen. Nicht so bei der Allianz zwischen dem windigen Arzt und der spanischen Zeitung. Denn hinter den grotesken Todesmeldungen steckt System. Die vermeintlichen Sensationsmeldungen sind Teil einer geschickten PR-Taktik, um sich ins Gespräch zu bringen. Um Seriosität oder die Grundregeln journalistischer Quellenrecherche geht es gar nicht.
Das Absurde ist, dass selbst deutsche Medien sich der Kampagne nicht entziehen konnten (oder wollten). Ohne Überprüfungen wurde die vorsätzliche Falschmeldung aus Florida und Madrid übernommen. »Die Welt« gehörte zu den Medien, von denen die Manipulation weitergesponnen wurde. Castro sei »angeblich wohlauf«, berichtete Springers Revolverblatt in Umkehrung der Tatsache. In nur wenigen Zeitungen wurde die Episode kritisch hinterfragt. Die Berichte erinnerten immer mehr an die Figur des Literaturnobelpreisträgers Wolfgang Schwitter in Friedrich Dürrenmatts Theaterstück »Der Meteor«, hieß es etwa in der Basler Zeitung: Schwitter stirbt mehrmals, um hartnäckig immer wieder aufzuerstehen.
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