»Keine einzige Zusage«

Flüchtlinge beendeten Hungerstreik/ Verwaltungsgericht rügt Polizeimaßnahmen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Arash sieht mitgenommen aus. Seine Wangenknochen stehen hervor. Mehr als eine Woche Hunger und Kälte liegen hinter ihm. Der 32-Jährige steht am Donnerstag um 20.30 Uhr im Foyer der Akademie der Künste am Pariser Platz und verkündet das Ende des neuntägigen Hungerstreiks.

Vier Stunden intensive Verhandlung mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sowie der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) sind gerade vorbei. Arash wirkt müde, aber glücklich. Die beiden Politikerinnen neben dem jungen Iraner zeigen sich mit den Ergebnissen der Gespräche zufrieden. Böhmer erklärt, es habe sich um »das bewegendste Gespräch« gehalten, das sie als Integrationsbeauftragte bisher geführt habe. Kolat verkündet, wie viel das Land Berlin in der Vergangenheit bereits für Flüchtlinge getan habe, lobt die Politik des Senates, als müsste sie heute Abend einen Wahlkampf gewinnen.

Wichtigste Erkenntnis des Tages: CDU und SPD scheinen mit den Flüchtlingen in vielen Forderungen einig zu sein. Böhmer sagte beispielsweise, man müsse sich fragen, ob die Residenzpflicht »noch zeitgemäß« sei. Ob die Integrationsbeauftragte an der umstrittenen Regelung festhalten wolle, verriet sie nicht. Derartig schwammige Versprechungen hörten die Flüchtlinge und ihre Unterstützer in den vergangenen Tagen von Politikern häufiger.

Einen Tag vorher hatte der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Christian Hanke (SPD), erst Zugeständnisse an die Protestierenden gemacht, die dann aber nach Auskunft von Unterstützern durch das Ordnungsamt wieder zurückgenommen wurden. Daran erinnert sich wohl auch Arash. Kaum sind Böhmer und Kolat verschwunden, entbrennt unter den Zurückgebliebenen eine Debatte, wie das Verhandlungsergebnis zu bewerten sei. Eben noch optimistisch, wirkt der Iraner mit einem Mal deutlich skeptischer.

»Wenn ich für meine Freiheit ins Gefängnis muss, dann werde ich es auch tun«, antwortet er auf die Frage, ob er sich vor einem möglichen Strafverfahren wegen der Verletzung der Residenzpflicht fürchtet. »Keine einzige Zusage«, kommentiert LINKEN-Abgeordnete Hakan Taş die Ergebnisse.

Der flüchtlingspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus sollte nach dem Willen der Hungerstreikenden an den Verhandlungen teilnehmen. Böhmer lehnte dies unter dem Verweis auf eine bessere Gesprächsatmosphäre ab. Taş begrüßt das Ende des Hungerstreiks und fordert von der Regierung konkrete Vorschläge. »Wenn das nicht passiert, war das gestrige Gespräch nur eine Alibiveranstaltung.« Nun heißt es warten. Bis 15. November wollen Böhmer und Kolat sagen, wann die nächsten Gespräche stattfinden.

Unterdessen wurde die harten Polizeimaßnahmen gegen die Flüchtlinge vom Berliner Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren teilweise gerügt. Die Beschlagnahme von Zelten, Isomatten und Schlafsäcken sei zwar zulässig gewesen, urteilten die Richter. Allerdings könne von den Demonstranten nicht verlangt werden, sich schutzlos der Witterung auszusetzen. Insbesondere das Verbot von Sitzkissen, kleineren Pappen oder anderen Sitzunterlagen ist unzulässig. Ein Mindestmaß an Schutz vor Kälte und Nässe sei erlaubt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.