Die Arroganz der heimlichen Macht
Für die »Distel« läuft es bei uns dank der Lobbyisten »Wie geschmiert!«
Da haben die Autoren der »Distel« gründlich recherchiert und uns schon im Programmheft Fakten serviert, die die Haare zu Berge stehen lassen. Etwa als was Lobbyisten vornehm firmieren: Politik- oder Kommunikationsberater, Verbandsvertreter, Public-Relations-Consultant. Klingt neutral, ohne es zu sein. Denn die Dunkelmänner im Umfeld der Politik handeln im Auftrag einer bestimmten Klientel meist aus Wirtschaft und Industrie, deren starke Interessen sie Politikern einflüsternd nahebringen und damit politische Entscheidungen beeinflussen. Nicht im Sinn des Gemeinwohls, sondern ausschließlich zu Nutz und Frommen derer, in deren Order sie antichambrieren.
Jede Sparte, von den Banken bis zu den Energiegiganten, hat heute ihre Leute für Wühlarbeit in Regierungsnähe, und das bleibt nicht ohne Folgen. Beschlüsse begünstigen einseitig, je nach Erfolg der einzelnen Lobbyisten, und wer keine Lobby hat, wie manche Genres der Kunst, sieht alt aus. Das trifft den Tanz wie das Kabarett, das sich immerhin lautstark in Szene setzen kann. Die »Distel« tut das in ihrem 130. Programm und attestiert, es laufe in unserer Republik alles »Wie geschmiert!«.
Martin Maier-Bode, Jens Neutag, Thilo Seibel und Sören Sieg haben dazu zwei Dutzend Szenen nach kruder Realität verdichtet und so angriffslustig wie bissig überhöht. Regisseur Dominik Paetzholdt, als studierter Germanist, Musikwissenschaftler und Philosoph mit dem rechten theoretischen, als ausgewiesener Inszenator von Komödie und Kabarett mit reichem praktischem Hintergrund, hat für die nahtlosen Übergänge zwischen den Nummern gesorgt und, ein Gewinn, den ätzend zynischen Texten mit Kristina Rouvels choreographischer Hilfe theaterwirksam bewegte Form gegeben. Im Untertitel heißt das Programm »Neues aus dem Lobbykeller«, und dort spielt es auch. Zwei Altgediente ihrer Gilde, der eine langjährig Stromverkäufer, der andere mit spitzem Messer Vorstand im Verband der Zuhälter, erwarten beim Edelitaliener weitere ranghohe Vertreter des Fachs. Da kommt man schon mal ins streitlustige Plaudern: über die rund 5000 Lobbyisten in Berlin, viele mit Sitz an der Friedrichstraße, unweit ihrer kabarettistischen Verwerter; über den Kauf von Abgeordneten in der Mission als Durchlauferhitzer; über den frommen Traum, Lobbyverbände als offizielles Regierungsorgan anerkannt zu wissen. Schließlich habe man, ihr Verdienst, nach Hiroshima die Atomenergie doch nur noch friedlich genutzt!
Als Dritte kommt die Kellnerin hinzu. Die hört sich manches an, etwa die Vorschläge des Zuhälters für Schnupperangebote, einen Tag der Kopulation, springt dann aber auf den Tisch, entpuppt sich als Vorsitzende des Antilobbyisten-Verbands, schreckt die Ganoven mit Wissen um deren dunkle Machenschaften und verlangt höchste Chargen vor Ort zu sprechen, Kanzlerin und Papst. Alle Bestechungsversuche weist Rosa zurück, auch die Wortattacke als Sara im Kellnerkostüm. Wir drehen das Rad im Staat, die in den Talkshows verbreiten unsere Märchen für Gummibärchen, halten die zwei Routiniers entgegen. Das veranlasst Rosa zur Einsicht, der Klassenkampf sei zurück: als Klassenfressen.
Man solle bloß in den täglichen Nachrichten »die Märkte« durch »die Reichen« ersetzen. Ohnehin entscheide Brüssel, wogegen die Volkskammer noch Machtfülle besaß. Grillhelme sollen eingeführt werden, um den Versicherungen aufzuhelfen, und auch an einer Imagekampagne für Saudi-Arabien arbeite man. Eine der stärksten Nummern: der Saudi mit Übersetzerin, in Verteidigung der Panzerkäufe, einzig für humanitäre Zwecke. In seinem Terrorland gebe es jedenfalls keine Krise.
So machen sie uns lachen, die drei Meister der lästerlichen Zunge, wo es eigentlich nichts zu lachen gibt. Zum Beispiel über Gott, der Mephisto einbestellt und von den Klagen gegen Merkel hören will, seiner Magd, die ihm schon in der FDJ so treulich gedient habe. Rosa aber bleibt hartnäckig: Infos zum Lobbyisten-Treiben müssen jetzt ins Netz. Ein Duz-Anruf beim Pressesprecher Seibert alarmiert die Kanzlerin, den Papst lockt das Angebot von Investment im Vatikan. Dazwischen Verbalangriffe gegen ahnungslose, weil inkompetente Politiker als Einfallstor für Lobby-Wühlarbeit. Dies belegt das Trio sophistisch am Berliner Flughafen: Wer behauptet, dass ein Bauleiter den Bau leite? Ein Zitronenfalter falte ja auch keine Zitronen. »Nimm diesen Scherz zurück«, heißt es da frei nach Grönemeyer, als Zugabe »Wir hab‘n euch alle nur gekauft« frei nach den Prinzen.
Ob Angela und Benedikt erscheinen und wie die Chose um Experten ausgeht, die bisweilen in politische Ämter aufsteigen, sieht man am besten selbst. Versprechen kann man, dass Dagmar Jaeger, Stefan Martin Müller und Michael Nitzel, von Matthias Lauschus und Fred Symann nicht nur musikalisch begleitet, bei diesen brisanten Themen in bester Spiellaune die Register des Kabaretts ziehen, um Politikern in die Karten und Lobbyisten hinters Visier zu blicken. Erschreckend amüsant.
Distel, Friedrichstr. 101, Mitte, Kartentelefon 204 47 04, www.distel-berlin.de
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