Immobilienhai auf Renditejagd
Wie die Firma N. in Friedrichshain Mieter drangsaliert und ausbeutet
David P. hält seine Kündigung in den Händen. Seit mehr als acht Jahren wohnt er in der Boxhagener Straße 26. Nun soll er bis zum Jahresende ausziehen. Die Kündigung ist dreist, der vermeintliche Kündigungsgrund bemerkenswert. So teilt ihm Martin G., der Anwalt der N.-Grundbesitzgesellschaft aus Leipzig, mit, dass er ausziehen müsse, da sich sonst die Renditeerwartung der vermeintlichen Neueigentümerin nicht erfüllen werde.
Es folgen detaillierte Angaben. N. müsse insgesamt fünf Millionen Euro aufbringen und habe dazu einen Kredit aufgenommen. Es würden umfangreiche Umbau- und Sanierungsmaßnahmen vorgenommen, für die noch eine Baugenehmigung beantragt werde. Geplant sind u.a. 25 Hotelzimmer, die einen Ertrag von 23 Euro pro Quadratmeter brächten; 18 Wohnungen mit einem Ertrag von 19 Euro pro Quadratmeter. Insgesamt lasse sich so die Gesamtmiete verzehnfachen auf 632 087,64 Euro jährlich.
N. habe bereits einen Mietvorvertrag mit der XII Apostel Berlin GmbH geschlossen. »Der Mietvertrag mit der XII Apostel Berlin GmbH kommt nur zustande, wenn diese das gesamte Gebäude mieten kann. Das Wirksamwerden des Mietvertrages ist für unsere Mandantin die einzige Chance, das Objekt Gewinn bringend zu bewirtschaften,« so Anwalt G.
»Gibt es jetzt ein Recht auf Rendite?«, dachte David P. Und muss er bei der Durchsetzung behilflich sein? Sein Vermieter versucht sich an einer so genannten »Verwertungskündigung« und stützt sich dabei auf den Paragrafen 573 c des Bürgerlichen Gesetzbuches. Der besagt, dass der Vertrag gekündigt werden darf, »wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde«.
Michael Roggenbrodt, Vize-chef des Berliner Mietervereins, hält die Begründung der Kündigung mit Hilfe dieses Paragrafen für »hanebüchen«. Der komme nur zur Anwendung, wenn die Nutzung der Wohnung oder des Wohnhauses für den Eigentümer ruinös wäre. »Es geht nicht darum, dem Hausbesitzer zu ermöglichen, mehr Geld herauszuholen. Sonst könne man damit ja auch die Nutzung als Bordell begründen.« Eine Luxussanierung und die Umwandlung in einen Gewerbebetrieb seien in einem Millieuschutzgebiet wie dem Boxhagener Platz ohnehin nicht genehmigungsfähig, so Roggenbrodt.
In dem vierstöckigen Wohnhaus mit zwei Gastronomiebetrieben geschehen jedoch schon lange recht bemerkenswerte Dinge. Seit rund vier Jahren ist das gelb gestrichene Haus zum großen Teil unbewohnt. Die Fenster der Eingangstür sind zerschlagen, der Hausflur verrottet. Im Innenhof türmt sich alter Baumüll, auf dem die Ratten tanzen. Aus dem feuchten Keller kriecht ein modernder Gestank. Der Eigentümer Kema Y. entmietete die rechte Haushälfte zur Ecke Simon-Dach-Strasse schon vor Jahren und baute die Wohnungen zu Hotelzimmern um – ohne Baugenehmigung. Die Bauaufsicht ordnete den Rückbau an, doch dies unterblieb bis heute. Die Zimmer sind möbliert, aber ungenutzt.
In der anderen Haushälfte wohnen nur noch drei Mietparteien. Die anderen konnten die zunehmende Verrottung nicht mehr ertragen. Geblieben ist Maria, die mit viel Liebe das kleine Restaurant »Primaria« mit bulgarischer Hausmannskost führt und viele Stammkunden aus dem Kietz zu ihren Gästen zählt. Doch ihr Mietvertrag läuft Mitte des nächsten Jahres aus. Dann muss sie ihr Gewerbe aufgeben und damit ihre Existenzsicherung. Sie ist am Ende ihrer Kraft: »Wo wird das enden, wenn alle Menschen mit Seele aus dem Viertel vertrieben werden und nichts so bleibt, wie es ist?«
Friedrichshain und insbesondere das Viertel um den Boxhagener Platz und der Simon-Dach-Straße boomen. Es ist eine Vergnügungsmeile besonders für junge Touristen aus aller Welt. Kneipe reiht sich an Kneipe, Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt, die Mieten explodieren. Immer mehr Altbewohner suchen das Weite oder werden verdrängt, terrorisiert, rausgekauft. Die Zusammensetzung der Bewohner im Viertel wird völlig umstrukturiert. Dabei steht das Viertel unter »Milieuschutz«, um genau dies zu verhindern. So sind alle Baumaßnahmen, Modernisierungen, die den Standard heben und alle Nutzungsänderungen von Wohnraum vom Bezirksamt zu genehmigen.
Die Vorgänge in der Boxhagener Straße 26 dürfte es laut Gesetz also gar nicht geben. Die Pläne der N. müssten an den Auflagen des Milieuschutzes zerschellen. Oder ist das Viertel um den Boxhagener Platz längst ein rechtsfreier Raum für Investoren und Immobilienhaie?, fragt sich David P. Er kennt Leute, die beim Eigentümer um eine Wohnung nachgesucht haben, vergeblich. Denn der will ja aus dem Haus ein Hotel machen. Trotz Wohnungsknappheit ist in Berlin der Leerstand von Wohnraum leider nicht verboten. Es fehlt eine Verordnung des Senats, die Zweckentfremdung von Wohnraum untersagt und damit auch den Leerstand. Der Senat ergeht sich bisher nur in Ankündigungspolitik.
David P. ist entschlossen zu bleiben. Das Schreiben der N. hat er einem Anwalt übergeben. Der forderte von der Leipziger Gesellschaft den neuen Grundbucheintrag für das Haus an und wartet bisher vergebens auf Antwort. Eine Information über einen Eigentümerwechsel hat es offiziell nie gegeben. Die Miete fließt nach wie vor auf das alte Konto.
Aufgrund einer laufenden juristischen Auseinandersetzung sind Teile des Beitrags vorübergehend anonymisiert.
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