Polizeigewalt ohne Langzeitfolgen

Das Land Berlin will Schäden nach Übergriff nicht anerkennen

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 2 Min.

Spätfolgen von Polizeigewalt sind schwer zu beweisen. Gestern verhandelte die Berliner Zivilkammer die Folgen eines Übergriffes, der 17 Jahre zurück liegt.

Rückblick, Berlin 1995. Es ist der 20. April. Antirassistische und antifaschistische Gruppen haben zu einer Demonstration gegen die erstarkte Neonaziszene aufgerufen. Obwohl es keinen Anlass gab, greifen Polizeibeamte gegen Ende eine Gruppe Demonstranten an. Unter ihnen ist Iris K. Beamte prügeln auf sie ein. Neben etlichen Prellungen wird ihre Halswirbelsäule schwer verletzt. Durch den entstandenen Bandscheibenvorfall ist ihre Bewegungsfähigkeit seitdem eingeschränkt. Zwar kann keinem der Polizisten eine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen werden, doch ein Zivilgericht entscheidet 1998, dass Berlin Schadenersatz zahlen und bei Folgeschäden dafür aufkommen müsse.

2009 verschlechtert sich ihre Gesundheit. Iris K. wird krank geschrieben und ist bis heute arbeitsunfähig. Bis zu 17 Stunden wöchentlich verbringt sie in Therapien. Das ist der Moment, den das Zivilgericht als Folgeschäden vorgesehen hatte. Dachte sie, wandte sich an das Land Berlin und forderte Schadenersatz sowie Ausgleich des Verdienstausfalls. Das Land lehnte ab.

Unstrittig sei, so stellt die Richterin der Zivilkammer 86 gleich zu Beginn der Verhandlung fest, dass die Klägerin von Polizisten verletzt wurde. Trotz des ersten Urteils bestreitet das Land Berlin erneut, dass auch der Bandscheibenvorfall dabei entstanden sei. »Praktisch muss ich den gleichen Prozess noch einmal führen«, sagt die Betroffene.

Aktenweise Gutachten liegen dem Gericht vor. Für eine Entscheidung reicht das nicht. Die Kammer will einen Sachverständigen bestellen, der sämtliche Gutachten prüft. Wer das sein soll, ist zwischen den Parteien umstritten. Iris K. befürchtet, dass die vom Land geforderten Sozialmediziner weder fachlich kompetent noch unvoreingenommen prüfen. Sie will, dass ein Spezialist außerhalb Berlins beauftragt wird. Das Gericht ließ die Entscheidung offen.

Vorsorglich geht das Land Berlin einen Schritt weiter. Falls erneut festgestellt werde, dass die Schäden von dem Einsatz stammen, kündigte sein Vertreter an, ein psychologisches Gutachten über die Klägerin einzufordern. Er vermutet eine »Rentenneurose«, also dass Iris K. absichtlich körperliche Symptome vortäuscht. Für ihren Anwalt ist das ein Skandal: »Um nicht die Kosten tragen zu müssen, versucht das Land Berlin, meine Mandantin als psychisch krank zu diskreditieren«, sagt Helmuth Meyer-Dulheuer. Der Vertreter des Landes wollte gegenüber »nd« keine Stellungnahme abgeben.

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