RWE: Probleme nicht nur im Hambacher Forst

Der Energieriese gibt sich neue »Leitlinien für künftige Arbeit«, um die Akzeptanz für Großprojekte abzusichern

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Räumung des besetzten Hambacher Forstes dauert nun seit vier Tagen an. Ein letzter Waldbesetzer hält sich in einem sechs Meter tiefen Tunnel verschanzt. Waldeigentümer RWE hat nicht nur am Rand seines Hambacher Tagebaus ein Problem – und versucht Konsequenzen zu ziehen. Der Konzern hat eine Studie in Auftrag gegeben und übt Druck auf die Politik auf.
Seit April hatten zumeist linke Kritiker der Braunkohleverstromung den Hambacher Forst im Rheinischen Braunkohlerevier zwischen Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach besetzt. Seit vier Tagen dauert die Räumung des Waldes an, der dem RWE-Tagebau Hambach weichen soll. Zuletzt gilt es, einen Aktivisten aus einem sechs Meter tiefen unterirdischen Tunnel heraus zu holen. In der Lokal-Presse wird dies als Event nebst Liveticker inszeniert – nebst teils hetzerischer Kommentare der Leser. Selbst »Spiegel Online« greift die Story des Mannes auf. An Aufmerksamkeit mangelt es dank der spektakulären Aktion nimmer mehr.

Die RWE-Kritiker rühmen sich, die »längste Blockadeaktion aller Zeiten in Deutschland« inszeniert zu haben und widersprechen Polizeiaussagen, ihr Mitstreiter befinde sich in Lebensgefahr und müsse gerettet werden. Die Besetzung richtete sich gegen die Rodung der Überreste eines einst riesigen Waldgebietes. Die Aktivisten kritisieren den Abbau und die Verstromung des besonders klimaschädlichen Energieträgers Braunkohle.

Die Region gilt dank mehrerer RWE-Braunkohlekraftwerke, die aus den lokalen Tagebauen genährt werden, als klimaschädlichste in Europa. Schon träumt mancher davon, die Gegend könne zum »Wendland der Kohlekraft« werden – mit massenhaften Protesten wie gegen Castor-Transporte. Ganz absurd ist diese Vorstellung nicht. Insbesondere sind weitere Waldbesetzungen zu erwarten – schließlich wird es noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis RWE den Hambacher Forst endgültig gerodet haben wird.

Hat RWE die Zeichen der Zeit erkannt? Ein Stück weit. Akzeptanzprobleme werden wahrgenommen, eigene Fehler oder gar die verfehlte Geschäftspolitik indes weniger. Gleichwohl sucht man nun einen »Leitlinien für künftige Arbeit«, um die Akzeptanz für Großprojekte abzusichern – in Zusammenarbeit mit der Politik.

»Proteste sind nicht allein durch persönliche Interessen der Bürger motiviert«, referierte Arndt Neuhaus unlängst auf einem »Fachforum« des Wirtschaftsrates der CDU. Viele Bürger hätten schlichtweg das Vertrauen in die Politik und große Unternehmen verloren, so der der Vorstandsvorsitzende der Deutschland-Tocher von RWE. »Sie bezweifeln, dass es Politikern noch (sic!) um das Gemeinwohlinteresse geht und befürchten (sic!), dass Unternehmen nur ihre Profitinteressen verfolgen.« Die gesellschaftliche Akzeptanz für Demonstrationen sei deutlich gestiegen. Ob an diesem letzten Dienstag im Oktober gedrückte Stimmung herrschte im Berliner MARITIM Hotel proArte – es ist nicht überliefert.

Neuhaus bezog sich in seiner Rede auf eine Studie, die RWE in Auftrag gegeben hatte, um »die Hintergründe und Mechanismen von Protestbewegungen zu verstehen und ein Gefühl für den Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung von Großprojekten zu bekommen«. Befragt worden waren 40 »namhafte Experten« aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Kirchen, so auch der Merkels Stellvertreter und ihr Umweltminister, wie auf RWEs Webseite nachzulesen ist.



Nachdem RWE sich also von »Experten« der schwarz-gelben Bundesregierung hatte beraten lassen, stand RWE-Manager Neuhaus nun also vor dem CDU-Wirtschaftsrat und gab den Ball zurück in die Spielhälfte der Politik. Eine erfolgreiche Umsetzung von Infrastruktur erfordere zweierlei: »Transparenz und Akzeptanz.« Neuhaus will in Bürgerbeteiligung »investieren«.

Natürlich nicht aus einer plötzlich erstarkten Liebe für mehr Demokratie: Nein, Partizipation soll »dazu beitragen, Eskalationen zu vermeiden, Planungs- und Genehmigungsprozesse zu beschleunigen und dadurch mehr Planungssicherheit für Investoren schaffen«. Selbst das moderne Dingsda namens Internet will der Konzern nutzen, um »Anregungen« und »alternative Vorschläge« zu erhalten.

Auch die Politik will RWE-Neuhaus in die Pflicht nehmen: Sie möge »Position beziehen«, die »komplizierten Zusammenhänge erklären« und »den Preis der Energiewende« aufzeigen. Der »Preis« wird nicht benannt, aber die Zuhörer dürften auch so verstanden haben, was Neuhaus meinte: Wenn keine Atomkraft, dann Kohleverstromung im großen Stil.

Von einer dezentralen Stromversorgung mit vielen kleinen Akteuren profitiert ein Energieriese wie RWE nun mal nicht. »Wichtig ist, dass wir aktiv aufklären«, beschwor Neuhaus die besonders wirtschaftsnahen Christdemokraten.

Der Mann im Tunnel wundert sich derweil, dass seiner Räumung große Aufmerksamkeit zu teil werde – aber die Gründe seiner Aktion beschwiegen würden. »Täglich sterben Hunderte an Hunger, Durst und Vertreibung als direkte Folgen des menschengemachten Klimawandels. Hier unten ist es riskant und ungemütlich, aber RWE riskiert die Zukunft unseres Planeten.«

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