Schonungsloser Blick

Die Ausstellung »Über Grenzen« im Haus der Kulturen der Welt

  • Manuela Lintl
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Haus der Kulturen der Welt (HKW) zeigt die Gruppenausstellung »Über Grenzen« mit Reportagen von achtzehn Fotografen der Ostkreuz Agentur. Ostkreuz wurde 1990 von sieben DDR-Fotografen (darunter Sibylle Bergemann, Harald Hauswald und Werner und Ute Mahler) als Kollektiv nach dem Vorbild der berühmten Agentur Magnum gegründet. Der Name ist der Berliner S-Bahn-Station entlehnt und symbolisiert den Aufbruch in alle Richtungen und Länder der Welt.

Bereits zum zweiten Mal ist die Agentur zu Gast im HKW, diesmal stellen die Fotografen unterschiedliche Forschungsergebnisse eines Gemeinschaftsprojektes über sichtbare und unsichtbare, territoriale, gesellschaftliche und ethische Grenzen und ihre Bedeutung für die Menschen vor.

Als mit der Berliner Mauer die bedeutendste Grenze in der Geschichte Deutschlands verschwand, gründete sich die Agentur. Zwei Jahrzehnte später haben sich die Ostkreuz-Fotografen auf die Suche nach heutigen Grenzen gemacht. »Wo immer Grenzen gezogen werden, geraten die, die hinter ihr stehen, zu Flüchtlingen oder Eindringlingen und die, die davor stehen, zu Bewachern.« Das Zitat aus dem Katalogvorwort verweist auf den Anknüpfungspunkt an das Thema des momentan laufenden Monats der Fotografie: Grenzen als ambivalente Markierungen zwischen dem Einen und dem Anderen.

Im Fokus der zum Teil investigativ durchgeführten Fotoreportagen stehen die Menschen. Die Bilder zeigen, wie zum Beispiel Grenzen in Korea, Irland, Kalkutta oder Zypern den Alltag prägen und wie die Menschen ihr Leben entlang, außerhalb oder innerhalb der Grenzen gestalten.

Espen Eichhöfer spürt mit der Kamera den Hoffnungen, Zweifeln und Ritualen der staatlichen Identitätsfindung im Südsudan nach. Dawin Meckel porträtiert die indigene Gemeinschaft Lubicon Cree, die in Kanada um ihr Territorium kämpft, seit man sie schlichtweg übersehen hat, als in den 1970er Jahren ihr Land für die Ölförderung erschlossen wurde. Tobias Kruse hat mit schonungslosem Blick palästinensische Homosexuelle, ukrainische Prostituierte und andere gesellschaftlich Ausgestoßenen am Alten Busbahnhof von Tel Aviv aufgespürt. Jörg Brüggemann hat die demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea bereist, die zu einer makabren Touristenattraktion geworden ist.

Ute & Werner Mahler zeichnen als Ergebnis einer Spurensuche Teile des ehemaligen fast 1400 Kilometer langen innerdeutschen Grenzverlaufs nach. In kraftvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen haben sie Reste von Mauern, Grenzzäunen, geschleiften Dörfern oder Wachtürmen im Bild festgehalten, die weiter verschwinden werden, je mehr die Natur Besitz von ihnen ergreift. Julian Röder hat mit nüchternem Blick die Sicherung der EU-Außengrenzen in Spanien und Griechenland erforscht. Hier agiert nur schwer zu kontrollieren und technisch aufgerüstet die Agentur Frontex als gemeinsame EU-Grenzpolizei. Zur effizienten Flüchtlingsabwehr werden heute Wärmebildkameras, Bewegungsmelder und elektronische Zäune, die wie Menschenfallen funktionieren, eingesetzt. Zukünftig werden es Roboter und Drohneneinsätze sein.

Frank Schinskis Fotoreportage über den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt, wirkt seltsam unrealistisch wie eine Serie von Filmszenen. Dem Statut des Gerichtshofs sind bislang 121 Nationen beigetreten, fast zwei Drittel aller UN Mitgliedsstaaten. Es fehlen aber Länder wie Saudi-Arabien, Sri Lanka, Israel, Pakistan und vor allem mächtige Player wie die USA, China, Russland und Indien.

Die Fotografien von Pepa Hristova dokumentieren »Heime für medizinisch-soziale Betreuung« in Bulgarien und offenbaren ihre Funktion als inhumane Verwahranstalten, in denen die Kinder gesellschaftlich ausgegrenzt einfach nur dahinvegetieren.

Viel Stoff also in dieser Ausstellung, in der außerdem noch Reportagen von Sibylle Fendt, Annette Hauschild, Harald Hauswald, Thomas Meyer, Julian Röder, Jordis Antonia Schlösser, Anne Schönharting, Linn Schröder, Heinrich Völkel, und Maurice Weiss zu sehen sind.

Bis 30. Dezember, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten, Mi.-Mo. 11-19 Uhr, Infos: www.hkw.de

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