Die Sache mit dem Käse-Fach

In der nur dünn besiedelten Uckermark wird ein bundesweit einmaliges Transportmodell erprobt

  • Leticia Witte, dpa
  • Lesedauer: 7 Min.
Landbewohner kennen das: Entweder ist die nächste Haltestelle im Nachbardorf oder der Bus fährt gar nicht mehr. Die brandenburgische Uckermark ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen bundesweit - und hat eine Lösung für das Problem mit dem Verkehr gefunden.

Bandelow. Pieter Wolters schaut dem Linienbus lächelnd hinterher. Der 64-Jährige hat weißes Haar und trägt einen weißen Kittel über seiner Arbeitskleidung. In dem Bus, Linie 413, liegt sein Käse - fein säuberlich abgepackt in drei Kartons und einer Kühlbox. Es war auch noch Platz für die Säfte und den Sanddornlikör. Vor ihm rollt ein Stück Zukunft, so nennt es der gebürtige Niederländer, der in der Uckermark eine Käserei führt. Jedenfalls sind Käse und Co. Teil eines neuen Verkehrsprojektes, das in Deutschland als bisher einziges in dieser Form gilt.

In der brandenburgischen Uckermark reichen die Felder bis zum Horizont. Die Straßen sind lang und oft leer, in der herbstlichen Morgensonne leuchten die gelben Blätter der Alleebäume. In diesem Landstrich muss man sich entweder auskennen oder darauf vertrauen, dass das nächste Dorf schon noch auftauchen wird. Die Uckermark grenzt an Mecklenburg-Vorpommern und ist der Traum vieler Berliner und Urlauber, wenn sie in die Abgeschiedenheit flüchten möchten.

Das ist hier ganz leicht, denn die Region ist eine der am dünnsten besiedelten bundesweit. Das bedeutet weite Wege - die Idylle stellt die Bewohner mitunter vor handfeste Probleme. Wie kommt das Kind in die Schule? Gibt es einen Bus, mit dem die Oma zum Arzt fahren kann? Oder ist der längst eingestellt, weil es sich einfach nicht mehr lohnt? Immerhin ist die Sache mit dem Käse geklärt.

Idee aus Skandinavien

Die Lösung ist ein kombinierter Transport von Menschen und Waren im normalen öffentlichen Nahverkehr: der Kombibus. Es ist ein Modell aus Skandinavien, mit dem zwei Hoffnungen verbunden sind. Auf der einen Seite sollen Waren - nicht nur Käse - einfacher von A nach B transportiert werden können. Auf der anderen Seite werden Linienbusse stärker genutzt, wenn Unternehmer zusätzlich ihre Waren mitschicken - und somit bestehende Verbindungen gesichert.

Der mit Bundes- und Landesmitteln finanzierte Kombibus ist im September in der Uckermark gestartet. Schon schaut man aus anderen Landkreisen und selbst von den Shetland-Inseln interessiert in den Nordosten Brandenburgs, wie Projektleiterin Anja Sylvester sagt.

Kurz vor 9 Uhr kommt Wolters aus seiner Käserei in Bandelow und übergibt Busfahrer Ralf Klug vier Behälter. Die Getränkekiste ist auch dabei, weil der Unternehmer der Handelsgesellschaft »Q-Regio« angehört, die Erzeugnisse aus der Region anbietet. Busfahrer Klug verstaut die Ware in einer Klappe, auf den Sitzen herrscht gähnende Leere. In gut zwei Stunden wird der Käse sein Ziel erreichen. In Holzendorf und Dedelow steigt eine Handvoll Fahrgäste zu, mit dabei ist auch Dominik Sprung. Die 22-Jährige mit dem Männernamen ist mit ihrer kleinen Tochter unterwegs, die in einem rosafarbenen Kinderwagen liegt. »Ich wusste davon nichts«, sagt die junge Mutter, als sie von dem Käse im Stauraum hört. »Ich finde die Idee aber schon gut.« Sprung spinnt den Gedanken weiter und denkt wohl an die kleine Claire Leonie: Warum nicht auch eines Tages Babynahrung transportieren?

In Prenzlau, der Kreisstadt, muss die 22-Jährige wie alle anderen Fahrgäste auch den Bus verlassen - dasselbe gilt für einen Teil der Käsefracht, die schon eine halbe Stunde Fahrt hinter sich hat. Nun kommt Maik Kelling ins Spiel, der wie sein Kollege Ralf Klug bei der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft (UVG) arbeitet. Die UVG ist Kombibus-Partner und stellt die Fahrzeuge zur Verfügung.

Der 28-jährige Kelling lädt am zentralen Busbahnhof die drei Kartons und die Flaschen aus Nummer 413 in einen wartenden Kleinbus. Kurz danach sind Rotwein- und Bioziegenkäse sowie die Getränke auf dem Weg in einen Laden in Prenzlau. Etappe eins ist geschafft. Die blaue Kühlbox ist aber noch nicht am Ziel. In 20 Minuten geht es weiter, Ralf Klug macht Pause und raucht eine Zigarette.

Der Kombibus bedeutet für Fahrer wie ihn mehr Arbeit. Sie müssen die jeweilige Fracht ein- und ausladen und sich um Papiere wie die Lieferscheine kümmern. Aber: »Wir sind nicht nur zum Lenken da«, meint der 44-Jährige. Er ergänzt mit Blick auf das neue Projekt: »Das ist eine feine Sache. Man kann viel machen. Man muss erst einmal etwas in Bewegung bringen. Dann kommen die Leute auf Ideen.«

Beim Kombibus seien sowohl das Bundesinnenministerium als auch das Bundesministerium für Landwirtschaft und das Land Brandenburg mit im Boot, erläutert Sylvester. Vor dem Start seien über mehrere Jahre 580 000 Euro von Bund und Land geflossen, zum Beispiel für Konzepte, ein juristisches Gutachten, Schulungen und technische Investitionen. Seit September müsse sich der Betrieb des Kombibusses selber tragen - über die Kunden. Das Projekt gehörte zu den Gewinnern eines ostdeutschen Wettbewerbs für das Modellvorhaben »Daseinsvorsorge 2030«. Hinzu kommt das Vorhaben »LandZukunft«, für das sich der Landkreis beworben hatte.

Bevölkerungsschwund ist in der Uckermark ein großes Problem. Laut Landrat Dietmar Schulze (SPD) könnten in knapp 20 Jahren nicht einmal mehr 100 000 Menschen in der Region leben. Die Arbeitsplätze sind knapp, wer einen Job gefunden hat, muss ihm nicht selten hinterherziehen.

Wer bleibt, hat mit den Tücken des Nahverkehrs zu kämpfen. »Wir hoffen, durch den Kombibus die Auslastung unserer Busse zu erhöhen und das Fahrplanangebot auszubauen«, hatte der UVG-Geschäftsführer Lars Boehme zum Start erklärt. So sollten Jugendliche neue Angebote abends nutzen können. Dass ein kommunales Unternehmen privatwirtschaftlich tätig sei, sei mit einer Änderung in der Kommunalverfassung ermöglicht worden, erklärt Sylvester.

Als Busfahrer Klug in Prenzlau kurz nach 10 Uhr den Motor wieder anlässt, sitzt schon ein Fahrgast hinter ihm. Der Bus ist ab jetzt Linie 403. Der Weg führt nach Süden in Richtung Angermünde. Es geht vorbei an Feldern, Windrädern und durch kleine Ortschaften, hin und wieder steigen Leute ein und aus. Irgendwann ist die Straße kaum breiter als der Bus, der über das Kopfsteinpflaster holpert.

Nach einer Stunde erreicht er Gut Kerkow - wieder ohne Fahrgäste, aber mit dem restlichen Käse. In Kerkow gibt es einen Biobetrieb mit Bauernmarkt und Übernachtungsmöglichkeiten. Johannes Niedeggen kommt, um den Schnittkäse aus der blauen Kühlbox in Empfang zu nehmen. Der 48-Jährige ist Leiter des Gutes und dankt Ralf Klug, der sich nach ein paar Minuten wieder hinter das Steuer setzt. Ab jetzt ist der Linienbus einfach wieder ein Linienbus - die Kombination Fahrgast plus Ware wird es erst wieder in ein paar Tagen geben.

Niedeggen hat reichlich Arbeit, aber Zeit für eine Kaffeepause. »Wir halten sehr viel vom Kombibus«, sagt er. Morgens gebe er die Bestellung in der Käserei Wolters auf. Schon ein paar Stunden später sei die Ware da. Ein Transportunternehmen bräuchte länger, sagt er.

Niedeggen und Wolters sind gedanklich schon ein paar Schritte weiter. »Viele aus der Region haben Logistikprobleme in Richtung Berlin«, sagt der 48-jährige Niedeggen. Denn in der Hauptstadt und im nahen Potsdam essen und trinken die Menschen gerne Produkte aus der Uckermark - regional und Bio liegen im Trend. Ein großer Teil des Marktes liegt für Landwirte und Erzeuger in der Hauptstadtregion.

Bald ganz Brandenburg?

»Wir haben in Berlin auch mehr Abnehmer«, sagt Unternehmenschef Wolters. »Für uns ist wichtig, dass eine Verbindung kommt.« In der Planung ist sie schon. Denkbar wäre, dass die Busse der UVG bis nach Angermünde fahren und die Waren dort in ein anderes Fahrzeug umladen, wie Projektleiterin Sylvester erklärt. Den Weg nach Potsdam und Berlin könnten etwa ein Fuhr- oder ein Taxiunternehmen übernehmen. »Wenn das so weitergeht, wird ganz Brandenburg angefahren.«

Bisher ist es vor allem Pieter Wolters, der den Kombibus in Anspruch nimmt. Die Fuhre bis nach Prenzlau habe ihn rund zehn Euro gekostet, nach Angermünde etwas weniger. »Das ist günstig.« Er möchte demnächst spezielle Tiefkühlboxen anschaffen, um auch Produkte wie Eis transportieren lassen zu können. Wolters zeigt sich zufrieden, anfängliche »Kinderkrankheiten« - so habe es Unklarheiten im neuen Tarifsystem gegeben - seien geheilt worden.

Wolters kam im Jahr 1994 nach Bandelow - wegen der fruchtbaren Böden, erklärt er. In seiner Käserei arbeiten mittlerweile 40 Angestellte. Er sagt, ihm gehe es nicht nur um das Geschäft, sondern auch darum, »die Lebensqualität in den Dörfern zu erhalten«.

Was den kombinierten Transport von Menschen und Waren in der Uckermark betrifft, zeigt sich der 64-Jährige zuversichtlich: »Was in Skandinavien geht, muss hier auch gehen.« In ein paar Tagen wird er morgens wieder an seiner Hofeinfahrt stehen, auf den Bus warten und ein paar Minuten später seinem Käse hinterherschauen.

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