Zwei-Grad-Ziel kaum noch zu schaffen

Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif warnt vor einer für die Menschheit einmaligen Klimaveränderung

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Die Wissenschaft ist in Doha nicht mit am Verhandlungstisch vertreten. Ist da schon alles gesagt, fehlt nur noch eine politische Lösung?
Latif: Wissenschaftlich sind die Dinge ziemlich eindeutig. Wenn wir nicht bald handeln, werden wir eine für die Menschheit einmalige Klimaänderung bekommen, in Ausmaß und Geschwindigkeit. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.

Ihre Kollegen vom Potsdam-In-stitut für Klimafolgenforschung (PIK) warnen in einem Bericht für die Weltbank davor, dass beim derzeitigen Wachstum der Treibhausgasemissionen die globale Temperatur bis zum Jahr 2100 um vier Grad Celsius steigen werde. Bleibt uns also nur noch, uns so gut es geht in einer völlig neuen Klima-Welt einzurichten?
Das Zwei-Grad-Ziel ist kaum noch zu schaffen. Das Klima ist träge und reagiert langsam. Insofern sollten wir die Anpassung nicht aus den Augen verlieren. Denn selbst eine Erwärmung um »nur« zwei Grad Celsius bis 2100 gegenüber der vorindustriellen Zeit wäre einmalig für uns Menschen, d.h. einmalig für die letzten mindestens eine Million Jahre.

Ein kürzlich im Fachblatt »Science« veröffentlichter Vergleich von Klimamodellen zeigte, dass jene, die die größten Erwärmungseffekte der Treibhausgase zeigen, am genauesten die bisherigen Veränderungen der Luftfeuchtigkeit in den Tropen und Subtropen widerspiegeln. Sind die bisherigen Prognosen womöglich noch zu zurückhaltend?
Der Klimaforscher Roger Revelle hat in einem Interview mit der »New York Times« im Jahr 1957 gesagt, dass »die Menschen ein großangelegtes geophysikalisches Experiment durchführen«. Das möchte ich unterstreichen. Die Treibhausgase haben schon heute einen Wert erreicht, den es seit vielen hunderttausend Jahren nicht gegeben hat. Letztlich wissen wir nicht genau, wie das Experiment ausgehen wird. Es gibt keine absolute Wahrheit in der Wissenschaft. Die überwiegende Anzahl der wissenschaftlichen Studien zeigt jedoch, dass wir dabei sind, das Klima zu unserem Nachteil zu verändern.

Wenn das in Kopenhagen proklamierte Zwei-Grad-Ziel doch noch erreicht werden soll, müsste in naher Zukunft mehr CO2 gebunden als freigesetzt werden. Welche Möglichkeiten sehen Sie dafür?
Der weltweite CO2-Ausstoß müsste 2020, spätestens 2030, zu sinken beginnen. Wir haben drei Sektoren, die kurzfristige Per-spektiven beim Klimaschutz bieten: Erstens, den Stopp der Waldzerstörung, insbesondere der Brandrodungen der tropischen Regenwälder. Zweitens, die Energieeffizienz. Wir verschwenden einfach zu viel Energie. Und drittens, die anderen Treibhausgase. Eine bessere Luftqualität schützt nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Klima.

Eine andere Studie verweist darauf, dass ein Anstieg der CO2-Konzentrationen in den oberen Atmosphärenschichten dort zur Abkühlung führt. Eine unerwartete Bremse für den Treibhauseffekt?
Nein! Denn CO2 wärmt die unteren Luftschichten und kühlt die oberen. Und genau das messen wir während der letzten Jahrzehnte. Das ist der Fingerabdruck des CO2. Veränderungen der Sonneneinstrahlung würden diesen Unterschied nicht hervorrufen.

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