Allah im Klassenzimmer

100 Tage islamischer Religionsunterricht - erste Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen

  • Andreas Gorzewski, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit August bietet Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland islamischen Religionsunterricht an. Wichtige Fragen sind noch immer ungeklärt.

Düsseldorf. Schon seit zwölf Jahren unterricht Hüseyin Cetin an Duisburger Schulen den Islam. Anfangs hieß sein Fach Islamische Unterweisung, später Islamkunde und seit hundert Tagen nun Islamischer Religionsunterricht. Mit dem Namen hat sich auch die Zuständigkeit gewandelt. Nun ist nicht mehr allein das Land Nordrhein-Westfalen verantwortlich für das, was Cetin an der Tafel erklärt. Ein muslimischer Beirat hat in religiösen Fragen das letzte Wort. Aber vieles ist noch beim Alten. Es gibt noch keinen neuen Lehrplan und keine Schulbücher. Auch die Lehrer sind meist dieselben - es gibt noch keine anderen.

»Bei der Islamkunde haben wir nur über den Islam informiert, nun haben wir die Gelegenheit, die Inhalte des Glaubens zu vertiefen«, erklärt Cetin den Unterschied zwischen altem und neuem Fach. Er müsse nun nicht mehr aus einer distanzierten Perspektive über Allah und den Koran reden. Jetzt könne er sagen: »Wir Muslime beten und fasten.« Die Eltern seien mit dem Unterricht zufrieden, sagt Cetin. Auch der Beiratsvorsitzende Mehmet Soyhun spricht von einer guten Startphase.

Im August hatten zunächst 2500 Schüler an 44 Grundschulen das neue Fach auf dem Stundenplan. Die Zahl soll zügig vergrößert werden. Ab kommendem Schuljahr werden auch weiterführende Schulen den Reli-Unterricht anbieten. Bis alle 320 000 muslimischen Schüler an Rhein und Ruhr teilnehmen könnten, werden noch Jahre vergehen. Dafür sind vor allem viel mehr Lehrer nötig. Die reguläre Lehrerausbildung begann erst vor wenigen Wochen am Zentrum für islamische Theologie der Universität Münster.

Für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht ist eine anerkannte Religionsgemeinschaft nötig. Beim evangelischen und katholischen Unterricht sind dies die Landeskirchen und Bistümer. In NRW ist aber noch kein Moscheeverband als Religionsgemeinschaft anerkannt. Deshalb wurde der achtköpfige Beirat geschaffen. In ihm sitzen vier Vertreter des Koordinationsrates der Muslime (KRM) und vier vom Land berufene Muslime. Sie müssen die Anstellung von Lehrern und Lehrpläne begutachten. »Der Beirat ist nur eine Übergangslösung«, betont KRM-Sprecher Erol Pürlü.

Das Beiratsmodell ist mit dem Schulgesetz bis 2019 befristet. Spätestens dann sollen die islamischen Verbände den rechtlichen Anforderungen an eine Religionsgemeinschaft entsprechen. Es gibt offenbar noch keine Einigkeit, ob sich dafür mehr das Land oder die Verbände bewegen müssen. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hatte vor dem Landtag Anstrengungen der Moscheeverbände angemahnt.

Der KRM-Sprecher sieht vor allem das Land im Zugzwang. Die Islamverbände hätten schon einiges getan, sagt Pürlü, der dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) angehört. Dazu verweist er auf den kürzlich geschlossenen Staatsvertrag in Hamburg, mit dem einige Moscheeverbände als Partner des Senats anerkannt wurden. »Wenn ein Gutachten feststellt, dass der VIKZ in Hamburg eine Religionsgemeinschaft ist, müsste das auch in NRW so sein«, sagte Pürlü mit Blick auf seinen Verband.

Der Beirat lädt jeden Lehrer für das neue Fach zu einer Art Vorstellungsgespräch ein. Für eine Lehrerlaubnis müssen die Interessenten nicht nur fachliche Qualifikation nachweisen. Sie müssen auch am Gemeindeleben einer Moschee teilnehmen und ihre Lebensführung am Islam ausrichten. Wer im ersten Gespräch nicht überzeuge, könne sich noch einmal vorstellen, erläutert der Beiratsvorsitzende. Allerdings nutzten einige die zweite Chance nicht, berichtet Soyhun. Etwa 40 Lehrer haben nach seinen Worten die Unterrichtserlaubnis.

Für Lehrer Cetin sind Unterrichtsinhalte wichtiger als der äußere Rahmen. Er wolle nicht nur die Kernelemente der Religion vermitteln, sondern auch Werte wie gute Nachbarschaft und Freundschaft. Für ihn gilt: »Es ist egal, wie das Fach heißt, wir unterrichten die Themen.«

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