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Der Bulle und die Kratzbürste

Die Russische Filmwoche überzeugt mit düsteren Thrillern und anrührenden Debüts

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen künstlerischen Übervater wie Andrej Tarkowskij kennt das russische Kino heute nicht mehr und auch auf das sowjetische Studiosystem kann es nicht mehr zurückgreifen. Dennoch ist russisches Filmschaffen an Talenten nicht arm, wie in den letzten Jahren international preisgekrönte Meisterwerke von Andrej Swjaginzew oder Alexej Popogrebskij bewiesen haben. So reicht denn auch das breite Spektrum der am 28. 11. startenden 8. Russischen Filmwoche, die aktuelle Produktionen präsentiert, vom Genrekino bis hin zu satirischen Gesellschaftsbetrachtungen.

Mit einem düsteren Thriller wird das Festival am Mittwoch im Kino International eröffnet: »Stahlschmetterling« von Renat Dawletjarow spielt in einem Moskau, das von einem perversen Strumpfhosen-Killer heimgesucht wird. Der Polizeiinspektor Chanin beschließt, die junge Vika als Lockvogel auf den Verbrecher anzusetzen. Da die 15-jährige Anführerin einer Bande obdachloser Halbwüchsiger nicht im Jugendknast landen will, fügt sie sich in das gefährliche Spiel. Nachts dreht sie in der Nähe einer abgelegenen Metrostation ihre Runden - in der Hoffnung, dass der Killer anbeißen wird.

Aus dem widersprüchlichen Verhältnis zwischen der kratzbürstigen Jugendlichen und dem eigenbrötlerischen Bullen schlägt der Film sein (Spannungs-)Kapital. In Sozialkitsch verfällt dieser solide Krimi nie und sucht auch keine Erklärungen für das Elend der einen oder die Unverbindlichkeit des anderen. Doch Märchen sind in diesem desillusionierenden Moskau nicht möglich.

Mit Illusionen spielt dagegen Sergej Komarows Psychothriller »Das Gespräch«, auch wenn sein Tenor grundpessimistisch ist. Das Kammerspiel findet mit Ausnahme einiger Rückblenden in den kargen Interieurs einer Gefängniszelle statt. Dort wacht der 40-jährige Boris in ramponiertem Zustand auf. Offenbar hat er bei einem Verkehrsunfall jemanden getötet, doch er erinnert sich an nichts, und der Besuch seiner Frau Mascha verstärkt seine Verwirrung umso mehr. Hasst sie ihn, liebt sie ihn? Ist sie schwanger, will sie die Scheidung? So mutiert der von Machtspielchen, Verletzungen und schweren Vorwürfen bestimmte Schlagabtausch zur Abrechnung einer Beziehung. Das Duell wird quasi in Echtzeit gefilmt: Erinnerungs-Flashs, changierende Kamerawinkel sowie einige Großaufnahmen von Gesichtspartien vermögen stilistisch nicht immer zu überzeugen. Dennoch bleibt man durch die Wendungen am Ende verblüfft zurück.

Einen spielerischen Umgang mit Narration bietet dagegen Michail Segals Gesellschaftssatire »Die Erzählungen«, während Boris Chlebnikows satirische Komödie »Bis dass die Nacht uns scheidet« Moskaus Schickeria auf die Schippe nimmt.

Moskau ist auch der Ort, an dem zwei junge »Nichtstuer« und beste Freunde - Sascha und Sergej - ihre Tage verträumen und ihre Nächte verfeiern. Sie sonnen sich auf Dächern, spielen anderen (milde) Streiche und begehen nachts mit ihren Freunden fröhliche Wodka-Partys. Sergej, aufgrund seines musikalischen Talents »Nachtigall« genannt, nimmt das Leben leicht - bis er sich unsterblich in Saschas Freundin verliebt. So kippt das Jugend-Drama von Andrej Sajzew sehr nachvollziehbar in seiner Stimmung: von ausgelassen hin zu melancholisch. Eine verzweifelte Liebeserklärung lässt den Zuschauer mit Sergej mitleiden, während dialogfreie Momentaufnahmen von herrenlosen Straßenkötern oder schlafenden Metro-Insassen den Gemütszustand des Helden widerspiegeln: Anton Schagin gibt ihn als hypersensiblen, traurigen Clown. »Nichtstuer« erzählt eine einfache Geschichte darüber, wie Freundschaften endlich sind, wie Liebe todunglücklich machen kann - und wie das Leben trotzdem weitergeht.

Bei solch einem anrührenden Debüt muss einem um die Zukunft des russischen Kinos nicht bange sein.

Vom 28.11. bis 5.12. im Russischen Haus, FaF, International und Arsenal; www.russische-filmwoche.de

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