»Marktregeln statt Almosen«

Milchbauern aus ganz Europa protestieren zwei Tage lang bei der EU in Brüssel

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Hunderten Traktoren haben Milchbauern in Brüssel gegen die aus ihrer Sicht zu niedrigen Abnehmerpreise in Europa protestiert.

Die Traktoren haben Verspätung. Auf der Place du Luxembourg, direkt vor den Brüsseler Gebäuden des Europaparlaments, stehen Menschen und warten. Fahnen aus deutschen Bundesländern, aus Polen, Frankreich, Österreich und den Niederlanden wehen im kühlen Wind. Auf Plakaten sind Parolen zu lesen: »Marktregeln statt Almosen«, »Die faire Milch«, »Bauern brauchen einen fairen Preis - 40 Cent pro Liter Milch«.

»Ein Bein ist ihr heute Morgen abgefallen.« Alois Hainz hält eine Kuh aus Pappmaché in die Luft und zuckt mit den Schultern. Ihr Körper ist in den Farben der Deutschlandfahne angemalt. Überall auf dem Platz gibt es ähnliche Kühe in großer und kleiner Ausführung. Unterschiedlich bemalt, in französischen, belgischen oder anderen Landesfarben. Zwischendurch erschrillen Trillerpfeifen, gerade explodiert ein Knallkörper. Die Polizei am Rande des Platzes bleibt ruhig.

Mit einer Busladung Kollegen war Landwirt Hainz in der Nacht auf Montag vom Chiemsee nach Brüssel aufgebrochen. Zwei Tage lang wollen die Bauern in der belgischen Hauptstadt bleiben, um gegen den niedrigen Milchpreis zu protestieren, der ihre Existenz bedroht. Den Hof mit den 90 Kühen, erzählt Hainz, bewirtschaften derweil seine Frau und die Kinder alleine. Doch der Protest hier in Brüssel sei die Anstrengung wert.

Ähnliche Geschichten erzählen Bertram Terkl aus Kärnten, Stanislaw Zawadzki aus dem polnischen Zielona Gora und Christian Jahnke aus dem Dörfchen Deibow in Mecklenburg-Vorpommern. »Wir fordern keine staatlichen Subventionen«, stellt Stefan Lehmann klar. Der Landwirt aus Oberharmersbach bei Offenburg ist Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), einem der Mitveranstalter des Protests. »Wir möchten nur eine Marktregulierung, die uns ein Überleben erlaubt«, sagt er. Die 30 Cent oder weniger, die Molkereien zurzeit für einen Liter Milch an die Bauern zahlen, reichten nicht aus, um die Unkosten zu decken. 40 Cent seien das Mindeste, was man bräuchte.

Der niedrige Preis sei durch ein Überangebot an Milch entstanden. Deshalb fordern die Bauern eine Regulierung der Menge. Auf europäischem Niveau solle eine Stelle eingerichtet werden, die den Bedarf festlegt, so dass es durch Überproduktion nicht zu sinkenden Preisen kommt. »Das ist wie bei Daimler: Wenn die Nachfrage nach teuren Modellen nachlässt, geht Daimler deshalb doch nicht mit dem Preis runter, sondern drosselt die Produktion«, so Lehmann. Ein Mindestpreis für die Bauern würde Milchprodukte zwar auch teurer machen, gibt der BDM-Mann zu. Aber: »Der Steuerzahler würde entlastet.« Denn dann bräuchten die Staaten und die EU nicht so viele Subventionen in die Landwirtschaft zu stecken, weil zumindest die Milchbauern bei fairen Preisen solche steuerfinanzierten Zuschüsse nicht mehr zum Überleben bräuchten. In Zeiten, wo keiner Geld habe.

Lange redet Lehmann noch so weiter, zählt einen Grund nach dem anderen auf, während sich im Parlament die Abgeordneten des Agrarausschusses auf ihre Sitzung vorbereiten. Bis heute beraten sie über Vorschläge zur Neuordnung des Milchmarkts. Am Mittwoch und Donnerstag steht Ähnliches bei den EU-Agrarministern auf der Tagesordnung. Entscheidungen werden noch nicht fallen. »Aber wie andere Lobbygruppen auch wollen wir schon jetzt Zeichen setzen«, so Lehmann.

Und dann kommen sie endlich: die Traktoren. Hupen, Jubel, Böller - mehrere hundert, vielleicht tausend Fahrzeuge sollen es sein. Alle passen nicht auf den Platz. Nur einige dürfen das Bad in der Menge genießen. Die anderen machen einen normalen Verkehr im EU-Viertel für den Rest des Nachmittags unmöglich.

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