Kühlschrank warm, Zimmer kalt
Stromausfall in der Großstadt: Was passiert, wenn die Energie länger wegbleibt?
Wie sehr man in einer durchschnittlichen Stadtwohnung davon abhängig ist, dass der Strom fließt, merkt man immer erst dann, wenn er das plötzlich nicht mehr tut. »Man sieht ja heute den Winterhimmel so schön zwischen den kahlen Ästen«, denkt man auf dem Heimweg noch. Alle Laternen sind aus, es wäre stockfinster, würden nicht ständig Autos vorbei fahren. Im Treppenhaus stehen Teelichter, auch auf den Festerbänken. Das Handy leuchtet den Weg zur Wohnungstür.
»In Berlin liegt der durchschnittliche Stromausfall pro Kopf und Jahr bei etwa zwölf Minuten«, sagt Vattenfallsprecher Hannes Hönemann. Am vergangenen Montagabend ist der Strom in Pankow wesentlich länger aus. Die Dielenböden knarzen, in allen Zimmern brennen Kerzen, doch goldene Gemütlichkeit kommt gar nicht erst auf. Tee kochen geht nicht, der Kühlschrank wird warm und das Schlafzimmer immer kälter. Wozu schließlich tagsüber heizen, wenn man nicht da ist. Und jetzt springt die Heizung nicht an. Natürlich. Alle Geräte gucken mit toten Augen in die Räume, nichts leuchtet, keine Musik, kein Internet, nichts. Grund für den Ausfall war ein Brand in einer Netzstation, wie Hönemann erklärt. Die genaue Ursache müsse noch geklärt werden. »Knapp 400 Haushalte waren betroffen, bis Mitternacht waren alle wieder mit Strom versorgt.«
Im bundesweiten Durchschnitt liegt Berlin recht gut, deutschlandweit liegt der Stromausfall bei 15 bis 16 Minuten im Jahr. Zum Vergleich: In Frankreich fällt der Strom 20 Minuten pro Kopf und Jahr aus, in Spanien eine volle Stunde lang.
Doch was passiert, wenn der Strom länger wegbleibt als ein, zwei Stunden? Nach einer Simulation der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht würde die Hauptstadt, drastisch gesagt, schnell im Chaos versinken, käme es zu einem stadtweiten Stromausfall.
Demnach funktionieren zwar die Absprachen in der Leitungsebene des Katastrophenmanagement - in Berlin der Katastrophenschutzstab der Feuerwehr -, doch gibt es keine Strategie, wie die Bewohner der Hauptstadt erfahren, wo sie Hilfe bekommen. Nach vier bis sechs Stunden bricht das Mobilfunknetz zusammen, digitale Festnetztelefone funktionieren ohne Strom sowieso nicht. Krisenmanagement ist jedoch ein wichtiges Element, denn »wenn Menschen wissen, dass für sie nach besten Möglichkeiten gesorgt wird und ihnen dies rechtzeitig und der Lage angemessen mitgeteilt wird, dann können selbst Menschen mit geringen Ressourcen sozial befriedet werden«, so die Wissenschaftler.
Das größte Problem sieht die Studie in den sogenannten Problembezirken Berlins. Innerhalb einer Stadt, deren einzelne Bezirke »sozial sehr unterschiedlich aufgestellt sind«, wie zum Beispiel anhand des Sozialstrukturatlas ablesbar sei, kann die Gefahr der Plünderung von Stadtbezirk zu Stadtbezirk stark schwanken.
Der Kraftstoff für Notstromgeneratoren reicht nur für 24 Stunden, Wasserwerke würden ebenfalls nach etwa einem Tag ausfallen. Auch die Feuerwehren beispielsweise müssen auf öffentliche Tankstellen zurückgreifen. In Berlin gibt es jedoch nur eine Tankstelle mit eigenem Notstrom.
Die Stromnetze in Deutschland sind nach Expertenmeinung nicht mehr so sicher wie noch vor zehn oder 20 Jahren. »Es gibt deutlich mehr Risiken«, sagte Alber Claudi von der Universität Kassel.
In Berlin gab es in den letzten Monaten mehrere Stromausfälle. Stimmt der Eindruck, dass ihre Zahl zunimmt? Vattenfallsprecher Höneman verneint. Der Stromversorger Vattenfall will in den kommenden Jahren die Berliner Ausfallquote unter zehn Minuten bringen.
2014 läuft die Konzession aus und der Netzbetrieb in Berlin wird neu ausgeschrieben. Am 12. Dezember wird der Hauptausschuss im Abgeordnetenhaus die Vergabekriterien beraten. Es gibt Bestrebungen, das Netz zu rekommunalisieren. Ein Volksbegehren dazu läuft derzeit. Berlin wird sich mit dem landeseigenen Unternehmen »Berlin Energie« bewerben.
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