Umzugshilfe als Opferschutz

Beim »Aktionsforum« in Hoyerswerda geloben die Strafverfolgungsbehörden Durchgreifen gegen Nazis

  • Hendrik Lasch, Hoyerswerda
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei einem Naziübergriff im Oktober in Hoyerswerda riet die Polizei den Opfern zur Flucht. Der Vorfall schlug hohe Wellen. Ein »Lokales Aktionsforum« sollte diese jetzt glätten.

Der Saal des Neuen Rathauses in Hoyerswerda war gestern rappelvoll. Die beiden Hauptfiguren des Vorfalls, mit dem die Stadt seit Wochen in den Schlagzeilen ist, waren jedoch nicht anwesend: ein junges Paar, vor dessen Wohnung am Abend des 17. Oktober eine Gruppe grölender, aggressiver Neonazis aufgetaucht war. Die Mittdreißiger riefen die Polizei - die eine ungewöhnliche Lösung fand: Die Opfer wurden von den Beamten an einen unbekannten Ort jenseits der Stadtgrenzen gebracht.

Als der Vorfall durch einen MDR-Bericht bekannt wurde, waren die Reaktionen heftig. Statt die Rechten zu vertreiben, habe man den Opfern zur Flucht verholfen, hieß es; eine überregionale Zeitung nannte die örtliche Polizei sarkastisch »Freund und Umzugshelfer«. Die Veranstaltung, zu der gestern ins Neue Rathaus eingeladen wurde, sollte die Wogen etwas glätten: ein »Lokales Aktionsforum«, das CDU-Innenminister Markus Ulbig angeregt hatte und zu dem eigens die Landeschefs von Polizei, Verfassungsschutz und des Landeskriminalamts angereist waren.

Die Behörden kündigten an, mit harter Hand reagieren zu wollen. Man werde den Druck auf die rechtsextreme Szene in der Stadt erhöhen, sagte der Landespolizeipräsident Rainer Kann: »Wir werden den Rechten auf den Füßen stehen.« Kann bedauerte den Eindruck, die Polizei habe sich bei dem Übergriff nicht genügend vor die Opfer gestellt, und widersprach der Darstellung, die Beamten hätten das Paar gedrängt, den Ort aus Sicherheitsgründen zu verlassen: Der Wohnungswechsel sei »auf Wunsch der Opfer« erfolgt.

Auch Conny Stiehl, Chef der Polizeidirektion Görlitz, verteidigt die Hilfe beim Umzug: »In meinen Augen war das polizeilicher Opferschutz.« Er räumte ein, bei dem Einsatz habe es auch Fehler gegeben: »Es gelang uns nicht, den Opfern die Angst zu nehmen.« Stiehl schilderte zugleich eine schwierige Situation für die personell ausgedünnte Polizei. So hätten zunächst nur die Besatzungen zweier Streifenwagen der Gruppe angetrunkener und aufgeputschter Nazis gegenüber gestanden. Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei hätten erst aus Zittau herbeigeholt werden müssen. Zwischen beiden Orten liegen knapp 100 Kilometer Landstraße.

Immerhin wurde schließlich gegen die Täter vorgegangen; es gab Platzverweise, auch wurden Personalien festgestellt. Von »professioneller Arbeit« spricht der Bautzener Oberstaatsanwalt Martin Uebele. Er teilte mit, wegen des Übergriffs werde inzwischen gegen elf namentlich bekannte Täter ermittelt, zunächst wegen Bedrohung und Beleidigung, was aber nur mit einer maximalen Haftstrafe von einem Jahr belegt sei. Möglich sei aber auch noch eine Anklage wegen schweren Haus- oder sogar wegen Landfriedensbruchs. Die Ermittlungen würden allerdings mindestens bis Ende Dezember andauern.

Hoyerswerda gehört nach Einschätzung der Polizei bisher nicht zu den rechten Hochburgen in Sachsen. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten habe in den vergangenen drei Jahren zwischen 14 und sieben geschwankt, sagte LKA-Präsident Jörg Michaelis; die Werte lägen niedriger als in vergleichbaren sächsischen Städten: »Hoyerswerda ist kein rechtsextremer Leuchtturm.« Allerdings warnt der Verfassungsschutz vor einer Radikalisierung der Szene. LfV-Präsident Gordian Meyer-Plath verwies auf eine 25 bis 30 Mitglieder zählende, »hochgradig aggressive« neonazistische Gruppierung, von der eine »klare Kampfansage an politische Gegner« ausgehe. Diese schlug sich etwa auch in wiederholten Angriffen auf das Regionalbüro der Bundestagsabgeordneten Caren Lay (LINKE) nieder.

Am Montag wurde ein daran beteiligter Täter vom Amtsgericht Hoyerswerda zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Meyer-Plath sagte, die Provokation in Hoyerswerda gehe »eindeutig von Rechts aus«. Dagegen müssten Behörden und Zivilgesellschaft vorgehen: »Wenn nichts passiert, machen die weiter.« Die Stadt nehme die Aufforderung ernst, sagte Oberbürgermeister Stefan Skora: »Wir müssen noch aktiver werden.« Dies gelte um so mehr, als Hoyerswerda wegen der Übergriffe auf ein Wohnheim von Ausländern im Jahr 1991 im Fokus der Öffentlichkeit stehe.

Vorfälle wie jetzt im Oktober seien geeignet, die »Arbeit vieler Jahrzehnte in Misskredit« zu bringen. Um dem entgegen zu treten, solle das »Lokale Aktionsforum« fortgesetzt werden. Erfolg werde man damit aber nur haben, wenn die Bürgerschaft besser erreicht werde, sagte Kristin Hofmann, Mitarbeiterin in Lays Abgeordnetenbüro. Zwar kamen zur ersten derartigen Veranstaltung rund 60 Gäste. Viele waren aber Behördenmitarbeiter, Kommunalpolitiker und Vertreter anderer Institutionen. »Die Zivilgesellschaft«, sagte Hofmann, »sehe ich hier leider nicht.«

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