Glücklich verschmutzt

Heute wird der britische Hollywood-Regisseur Ridley Scott 75 Jahre alt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Im Jahre 1979 tauchte die kühle, sehnige, kantige Frau erstmalig auf. Und sie jagte jenes glitschige, unheimliche Wesen aus einer anderen Welt, welches das Raumschiff »Nostromo« (Hommage an Joseph Conrad) in eine Hölle verwandelt hatte. Ridley Scott drehte den ersten der insgesamt vier »Alien«-Filme.

Drei neuzeitliche Klassiker des Filmhorrors waren geboren: der Lieutenant Ellen Ripley der Sigourney Weaver; das Alien des Schweizer Künstlers H. R. Giger, mit Säure statt Blut im glibberigen Tintenfischcorpus; und dazu ein Thrillergestus der virtuos nervösen, hypnotischen Schnitttechnik. Es waren die Bilder selbst, die das eigentliche Entsetzen bildeten, weil sie dem Schrecken, den sie zeigten, stets schon einen Schritt voraus waren. Die Augen des Betrachters wurden zu Augen eines verunsicherten Patienten; aus Missions- wurde Infektionskino - was man von den Bilderfluten bekam, war nicht Information, sondern Ansteckung. Die Botschaft, krasser denn je: Alle Gewalt geht vom Schnitt aus.

Kreatürliche Prämisse der pausenlosen Verfolgungen: Die bösartigen Biester suchen sich zur Fortpflanzung den Körper eines Menschen, um eines bitteren Tages blutig aus ihm hervorzubrechen. So vollzieht sich die kulturelle und biologische Symbiose von Mensch und Monster. Leben heißt: Erst im Körper des Feinds findet ein Jeglicher seinen Frieden. Höhepunkt des unerquicklichen Kreislaufs: Irgendwann, in einem der Fortsetzungsfilme, würde das scheinbar letzte Monster im Leib der Ripley selbst keimen, gleich einem entschlossenen Kraftakt der beleidigten Schöpfung - die ausgerechnet dem Menschen nicht gönnen will, von allem Bösen erlöst zu werden.

Und das Monster selbst lebt ohnehin beispielhaft wie alles Böse: Es regeneriert sich aus jeder Zertrümmerung; was es zu einer starken Erscheinung macht, ist seine Fähigkeit, sich mit allem zu vereinen, was es vernichten will. So wie in einigen Filmen Scotts der Kapitalismus sich daran weidet, dass seine erbitterten Gegner, die Unterdrückten, ihre Widerstandsschlacht just schlagen, um doch nur um so rigider die Rolle der Herren einzunehmen. Ausgerechnet aus festem Glauben an den US-amerikanischen Traum versucht der Underdog, dieses Amerika zu zerstören - und kräftigt so nur dessen Existenzgesetz: Träum und verlier! Diese irre Logik hält den Traum am Leben.

Wir blicken bei »Alien« in stählern-fahle galaktische Stationswelten, erinnerungslose Wüsten, irreal und substanzlos, eine einzige Preisgabe des Organischen. Was einst in den Höhlen der Erde begonnen hat, findet in der gewaltigen Kunsthöhlung eines finsteren Technodroms seine vorgebliche Vollendung. Es liegt aber eine Art Wunder in der metallenen Schalheit dieser planetarischen Großkapseln, ein Wunder typisch US-amerikanischer Obszönität: das eines totalen Ausgeliefertseins an Räume, die trotz all ihrer Enge nie richtig erfasst werden und nur in permanentem Fluchttempo zu spüren sind. Highways der kosmischen Generation, mitten im Eisenpanzer.

Und die Verfolgungsjagden zwischen Mensch und Alien? Letzte Verschwendungen von Stimme, Muskel, Atem; verzweifelte Hingabe an ein Überleben, das für die Meisten nur von kurzer Dauer, also nichts weiter als eine ekstatische Form des Verschwindens ist. »In diesem Film von Scott ist alles möglich, nur damit man vergisst, dass Tod in noch mehr Tod verwandelt wird« (Elfriede Jelinek). Einzig die Bordmechaniker Harry und Yaphet durchstreifen die dämonische Szenerie und würzen das Schicksal, vom Monster verfolgt zu werden, mit einer Sentenz-Souveränität, als seien sie vom Stande der Shakespeare-Narren.

Zukunft als Orgie einer hysterischen Beschleunigung in geschlossenen Kanälen und Rohren und Gängen, eine Orgie, in der sich Hollywoods Waghalsigkeit offenbart - leidenschaftliches Bekenntnis zum Nullpunkt jedweder Kultur: Alles ist möglich an Liebe, an Solidarität, an kollektiver Kraft, außer freilich, dass es je Wirklichkeit wird. Wir sind weit draußen.

Und just da draußen erschuf Scott eine Morgenszene märchenhafter Unschuld: Der Bordcomputer des Raumkreuzers »Nostromo« lässt die Crew aus ihrem Hypertiefschlaf erwachen, sie erwacht wie eine geschmeidig-divenhafte Katze; es ist, als etabliere sich hier nicht ein Drama des Totentanzes, sondern eine schöne Melancholie, die nur eine friedlich durchtanzte Erdennacht möglich macht. Hippies konnten sowas, Blumenkinder. Am nunmehrigen Ort (der Erinnerung?) blühen höchstens Blumen des Bösen. Das Böse braucht keine Blumen, es genügt ihm, dass es uns blüht.

Scott, der Maler, nicht der Treiber, der Stimmungszeichner, nicht der Aktionist. Letzteres ist er natürlich trotzdem immer gewesen und geblieben, in »Thelma & Louise« mit Geena Davis und Susan Sarandon, im sensationell dreckigen Römerdrama »Gladiator« mit Russell Crowe, im räudig-romantischen »1492: Conquest of Paradise« mit Gérard Depardieu als Columbus, in »American Gangster« mit Denzel Washington als Drogenboss in Harlem, in »G. I. Jane« mit Demi Moore. Es scheint, als müsse Geschichte zur Explosion gezwungen werden, wo die Helden doch von Beginn an eine Grundmüdigkeit gefesselt sind, die sie nie mehr loslässt und die jeden moralischen Auftrag dem Vorwurf aussetzt, er fordere Erwachsensein zur immer falschen Zeit. So durchleben diese Helden ihre Filme: als seien sie ihnen ein wenig aufgezwungen worden - unglücklich Strahlende, glücklich Verschmutzte.

Und ihr Regisseur, der sich partout als Handwerker versteht, weniger als Autorenfilmer, und den das Pantheon der Großen kaltlässt, er hat stets ein gelassenes Gefühl für die Zeit gehabt, die vergehen muss, ehe ein gescholtener Film Klassiker wird (»Blade Runner«). Und er bekennt sich zur Massenkultur, weil er geschäftig-klug ihre analytische Leistung mit trägt: Sie resümiert jede Geschichtlichkeit - und das ist doch immerhin nichts als die Wahrheit - als Spukzeit und Fluchzeit.

Einer seiner schönsten Filme: »White Squall«: Jeff Bridges spielt den Kapitän eines zum Sinken verurteilten Schulseglers. Wieder Joseph Conrad als Pate. Beklemmend: Wie finden junges Ungestüm und verantwortungsbewusste Übersicht zueinander? Ein Hauch von Wajdas »Schattenlinie«. Zu welchen Windstärken greift das Leben, um sich selbst auf verhängnisvolle Weise zu prüfen? Reisen ins Herz der Finsternis. Ein dunkles Porträt der Freiheit: Sie operiert im Ungefestigten; kein Gott, kein wohlmeinender Weltgeist, kein historisches Gesetz erhebt sie in die Berechenbarkeit.

Auch dies ist ein Film von Ridley Scott: Ein Junge fährt Brot aus, tiefste englische Provinz. Müht sich mit seinem Rad die Hanglage hoch. Der kleine Sisyphos. Dann aber, die letzte Adresse ist erledigt, rast er auf seinem Gefährt beseelt das Kopfsteinpflaster hinab - als sei er jetzt jener hüpfende Stein, der jedem Sisyphos davoneilt in die rauschende Geschwindigkeit eines Glücks, darin Plage der Aufstiege und pfeifende Lust der Abstiege ein unzertrennliches Paar bilden.

Ja, ein Film, aber »nur« ein sehr kurzer, ein früherer Werbespot nämlich, für die BBC - gedreht, weil der Sender dem damals fast schon 40-jährigen Scott keinen abendfüllenden Stoff gab. Der Spot (Scott wurde damals zum Fließband-Meister des Clips) ist vielleicht ein Schlüssel zum Wesen des Regisseurs: ein Mann des Konzentrats, nicht der ausladenden Weite; immer ringt ein preschendes Heldentum mit jener Abseitsstille, die träumerische Kindheiten prägt.

Heute wird der standfesteste Brite im US-Kino, der Mann aus South Shields, der in seiner Jugend von Assistenzen bei den Starfotografen Richard Avedon und Irving Penn träumte, Bruder des vor Monaten gestorbenen Regisseurs Tony Scott (»Top Gun«), Verehrer von Orson Welles und Kinogenie Jacques Tati, heute wird der Regisseur, der vor kurzem »Prometheus« drehte, als wolle er Gott nachträglich ins Kino bitten und ihm zeigen, wie man Schöpfungszweifel genau so säen wie Schöpfungslust schüren kann, heute wird Ridley Scott 75 Jahre alt.

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