Fußabtreter für verfehlte Sparpolitik

DGB-Konferenz thematisierte Arbeitsbelastung im öffentlichen Dienst

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf dem »Schöneberger Forum« des DGB standen Forderungen nach Ausbau des öffentlichen Dienstes und mehr Bürgerbeteiligung im Mittelpunkt.
Im Bürgeramt: mehr Andrang – weniger Mitarbeiter
Im Bürgeramt: mehr Andrang – weniger Mitarbeiter

»Bürgerbeteiligung und öffentlicher Dienst: Zwischen Demokratisierung und Arbeitsverdichtung« war das Thema des 15. Schöneberger Forums, welches am Mittwoch und Donnerstag im Rathaus Schöneberg im Westteil Berlins stattfand. Über 400 Interessierte, darunter viele Personalräte, folgten der Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung.

In seiner Eröffnungsrede warnte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer vor der der Illusion, dass ein »verschlankter« öffentlicher Dienst und eine weitgehende Privatisierung bislang öffentlicher Ausgaben zu einer effizienteren Verwaltung führen könnten. Sommer verwies beispielsweise auf die Lebensmittelkontrolle. Werde ständig Personal reduziert, brauche man sich über Gammelfleisch- und Dioxinskandale nicht zu wundern. Zudem sei es mittlerweile in vielen Kommunen angesichts der dortigen Personalausstattung »eine regelrechte Strafe«, ein Bürgeramt aufsuchen zu müssen, und das gelte auch für die Mitarbeiter.

Der DGB-Chef verwahrte sich gegen jegliche Pauschalkritik an vermeintlich »faulen« Behördenmitarbeitern. Diese dürften nicht als »Fußabtreter für eine verfehlte Sparpolitik« missbraucht werden. Für bürgernahe Dienstleistungen auf hohem Niveau müsse Geld in die Hand genommen werden, statt den Mangel durch Instrumente wie die »Schuldenbremse« dauerhaft festzuschreiben.

Der frühere Bundessozialminister Heiner Geißler nannte in seiner Rede Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen »Exzesse einer marktradikalen Ideologie« und zudem ein Instrument gegen Bürgerbeteiligung. Aber die Menschen seinen zunehmend weniger bereit, »alles zu akzeptieren, was die Politik vorgibt«. Als Beispiel nannte er die Proteste gegen den Bau des unterirdischen Bahnhofs in Stuttgart (S 21). Jahrelang seien die Bürger von der Politik über Ausmaß und Intentionen des Projektes systematisch hinters Licht geführt worden, und als sich dann heraus gestellt habe, dass es bei S 21 auch um gigantische Bodenspekulationen gehe, sei das Fass übergelaufen.

Geißler hatte in dem eskalierenden Konflikt um den Bahnhof als Schlichter agiert und schließlich den Boden für eine Volksabstimmung über S 21 bereitet, die den Befürwortern eine Mehrheit bescherte.

Der CDU-Politiker, der auch dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac angehört, forderte eine »grundlegende Mentalitätsänderung« in der Verwaltung. Planungsverfahren für große und kleine Projekte müssten vollkommen transparent ablaufen und »echte Mitbestimmungsrechte« für die Bürger beinhalten, bis hin zu Volksentscheiden. In derartigen Verfahren müsse Projektgegnern beispielsweise die Erstellung von Gutachten finanziert werden. Geißler verwies darauf, dass Bürgerproteste keinesfalls lästige Aktionen »ewig gestriger, besitzstandsbewahrender Fortschrittsgegner« seien. Vielmehr hätten sie letztendlich zu großen Innovationen in Bereichen wie Recycling sowie zur Energiewende geführt.

Verwaltungsentscheidungen müssten »im Zweifel stets im Sinne der Bürger und nicht der Sparvorgaben« gefällt werden, so Geißler unter Hinweis auf die Situation in vielen Jobcentern. 140 000 Sozialgerichtsverfahren wegen Bescheiden der Hartz-IV-Behörden zeigten, »dass da etwas grundlegend nicht stimmt«. Ohnehin sei Hartz IV »in vielen Fällen eine eklatante Verletzung der Menschenwürde«. Mit der von der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebrachten »Agenda 2010«-Politik sei der seit 1947 in der Bundesrepublik geltende Konsens über »eine soziale Marktwirtschaft auf Basis einer gemeinsamen ethischen Verantwortung aufgekündigt und die Arbeiterbewegung verraten worden«. Diesen Konsens gelte es wieder herzustellen

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