In München darf niemand stolpern

Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer der Nazi-Diktatur sind auf städtischen Grundstücken verboten

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
In München legt man viel Wert auf Ordnung. Die sogenannten Stolpersteine, die in ganz Deutschland an die Opfer der Nazibarbarei erinnern, dürfen an der Isar deshalb nicht auf öffentlichem Grund verlegt werden. Eine Bürgerinitiative möchte das nun ändern.

München ist eine ganz spezielle Metropole: Dass Stolpersteine zur Erinnerung an NS-Opfer von Neonazis aus dem Boden gerissen werden, wie jüngst in Greifswald, wäre hier nicht möglich. In der bayerischen Hauptstadt werden die Steine ganz offiziell von Mitarbeitern der Stadt entfernt, denn bereits im Juni 2004 hatte der Stadtrat ein Verbot für das Verlegen dieser Steine auf öffentlichem Grund beschlossen. Doch die Debatte um diese Art der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus hält in der ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung« unvermindert an. »Wir vertrauen darauf, dass diese Idee so gut ist, dass sie sich auch in München durchsetzen wird«, sagt zum Beispiel Janne Weinzierl vom der Münchner »Initiative Stolpersteine für München«. Diese wurde 2008 als Verein gegründet, zählt 60 Mitglieder und ein paar Hundert Unterstützer.

Die »Idee« wiederum, sie stammt vom Kölner Künstler Gunter Demnig. Seit 1992 verlegt er kubische Betonsteine mit zehn Zentimeter Kantenlänge, auf deren Oberseite in einer Messingplatte die Lebensdaten von Opfern des Nationalsozialismus eingraviert sind. Die Steine werden in der Regel vor dem letzten freiwilligen Wohnort der Betroffenen in das Pflaster des Gehweges eingelassen. Ein Stolperstein kostet rund 120 Euro, mittlerweile hat Demnig im Rahmen seines Kunstprojektes 38 000 Steine in 750 Städten verlegt.

Auch in München, in der Mauerkirchner Straße 13. Dort wohnten Siegfried und Paula Jordan, bis das jüdische Ehepaar 1941 in das litauische Kaunas deportiert und dort ermordet wurde. Das Verlegen der Steine hatte Peter Jordan, der in England lebende hochbetagte Sohn der Jordans, veranlasst. Wegen des Stadtratsbeschlusses wurden sie nach kurzer Zeit allerdings wieder aus dem Pflaster entfernt. Seitdem war Peter Jordan auf die Israelitische Kultusgemeinde Münchens nicht gut zu sprechen. Denn deren Präsidentin, Charlotte Knobloch, hatte sich vehement gegen diese Art der Erinnerung ausgesprochen. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Namen von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus »im Straßenschmutz« angebracht und mit den Füßen getreten werden Der Stadtrat gab weiter zu bedenken, dass die geringe Zahl dieser Steine das Ausmaß der Nazi-Verbrechen mit 4500 Opfern allein in München eher verharmlosen würde. Zudem sei die Auswahl der Opfer schwierig und der alltägliche Gebrauch der Bürgersteige eher eine Vernachlässigung des Themas. Außerdem habe die Landeshauptstadt »wesentlich besser geeignete Formen des Gedenkens« realisiert. Auch das Wort »Geldschneiderei« fiel in der öffentlichen Debatte.

Nicht alle Mitglieder der jüdischen Gemeinde teilten die Ansicht von Charlotte Knobloch und der Münchner SPD, die im Rathaus die Mehrheit stellt. So sprachen sich neben einem SPD-Parteitag auch mehrere sozialdemokratisch dominierte Bezirksausschüsse für die Anbringung von Stolpersteinen aus. Zum Beispiel der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann, in dem SPD-Mitglied und Stolperstein-Befürworterin Janne Weinzierl tätig ist. Vor kurzem hat sie beim Bürgermitmachwettbewerb der Stadt mit ihrem erneuten Vorstoß für die Stolpersteine den zweiten Platz belegt. »Inzwischen muss man sich als Münchner schämen, wenn man sieht, wie alle anderen großen deutschen Städte diese Form der unmittelbaren Erinnerung verwirklichen«, so der TV-Journalist Gerd Heidenreich in einem Kommentar zum Wettbewerb. Der Stadtrat, Oberbürgermeister Christian Ude und Frau Knobloch hätten sich seinerzeit festgelegt und steckten jetzt »in der Reuse und können nicht mehr zurück«.

Auch die Autorin Amelie Fried und der Historiker Andreas Heusler setzen sich für die Stolpersteine ein. Die werden mittlerweile in München auf Privatgrund verlegt, etwa in der Kyreinstraße 3. Auf dem dortigen privaten Anwesen wurden 2009 von Künstler Gunter Demnig elf Steine verlegt. Sie sollen an die von den Nazis ermordeten Sendlinger Bürger erinnern. Angestoßen hat die Aktion die »Initiative Historische Lernorte Sendling«. Die Eigentümergemeinschaft der Kyreinstraße 3 zog mit. Inzwischen gibt es in München 17 Stolpersteine auf fünf Privatgrundstücken. »Wir arbeiten stetig im Untergrund weiter«, so Janne Weinzierl über die Aktivitäten ihres Vereins.

Wie kompliziert dies mitunter sein kann, zeigt das Beispiel der Arcisstraße 12. Dort ist heute die Staatliche Musikhochschule untergebracht. Das Haus selbst ein Bau aus der Nazizeit. Hier unterzeichnete Hitler 1938 das Münchner Abkommen. Bis vor einem Jahr war der Eingangsbereich der Musikhochschule auch der Ort einer Kunstinstallation mit 25 Stolpersteinen. »Hier wohnte Otto Binder, Jg. 1904, 7 Mal in Gestapohaft, Hingerichtet 28.6.1944 Fallbeil Gefängnis Stadelheim« war auf einem der Steine zu lesen. »Beherbergt« wurden die Stolpersteine, weil die Musikhochschule kein städtischer, sondern staatlicher Grund ist. Bis die städtische Feuerwehr kam, auf den Brandschutz verwies und die Steine entfernte. Jetzt lagern sie im Keller und warten dort auf bessere Zeiten.

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